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Demokratie! - wofür wir kämpfen

Demokratie! - wofür wir kämpfen

Titel: Demokratie! - wofür wir kämpfen
Autoren: Campus
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traditionelle Linke sich in den angesprochenen Problemen wiedererkennen, ohne selbst eine Antwort darauf zu haben.
Die Verwahrten
    Beim Gedanken daran, wie viel Information fortwährend über uns produziert wird, kann einem schwindelig werden. Wir wissen natürlich, dass bestimmte Orte und Situationen besonderer Überwachung unterliegen. Beim Einchecken am Flughafen werdenunsere Körper und Koffer durchleuchtet. Bei der Einreise in manche Länder werden unsere Fingerabdrücke genommen und unsere Augen gescannt. Wenn wir arbeitslos werden, folgt uns das Auge des Sozialstaats und registriert jede unserer Bemühungen und jeden Misserfolg. Jedes Krankenhaus, jede Behörde, jede Schule hat eigene Kontroll- und Datenspeichersysteme. Doch die Überwachung ist keineswegs auf besondere Orte und Situationen beschränkt. Auf der Straße folgen uns Sicherheitskameras, im Internet wird unser Surfverhalten aufgezeichnet, im Geschäft werden unsere Kreditkartenkäufe registriert, und wer sich dafür interessiert, kann unsere Mobiltelefonate abhören. In den vergangenen Jahren haben Überwachungstechnologien einen Quantensprung gemacht und dringen immer tiefer in unsere Gesellschaft, unser Leben und unsere Körper vor.
    Warum lassen wir es zu, dass wir wie Häftlinge behandelt werden? Früher war das Gefängnis der Ort der totalen Überwachung, jede Bewegung der Gefangenen wurde beobachtet und aufgezeichnet. Doch heute hat sich die totale Überwachung zunehmend auf die gesamte Gesellschaft ausgedehnt. »Das Gefängnis beginnt schon weit vor seinen Toren«, schrieb Michel Foucault. »Es beginnt, wenn wir das Haus verlassen.« Und heute beginnt es sogar schon in unseren eigenen vier Wänden. Lassen wir uns das gefallen, weil wir uns der Beobachtung gar nicht bewusst sind? Oder weil wir meinen, dass wir keine andere Wahl haben? Vermutlich beides, aber dahinter steckt auch Angst. Wir nehmen es hin, in einer Gefängnisgesellschaft zu leben, weil uns das Draußen noch bedrohlicher erscheint.
    Aber wir werden nicht nur überwacht, wir nehmen auch selbst an der Überwachung teil. Wir folgen der Aufforderung, die Augen offen zu halten und nach auffälligen Fahrgästen in derU-Bahn, verdächtigen Sitznachbarn im Flugzeug oder ungewöhnlichen Aktivitäten in der Nachbarschaft Ausschau zu halten. Aus Angst stellen wir dem scheinbar allgegenwärtigen Sicherheitsapparat unsere Augen und Ohren zur Verfügung. Die verwahrte Gesellschaft hat zwei Protagonisten: Gefangene und Aufseher. Und wir sollen beide Rollen gleichzeitig spielen.
    Die Verwahrten leben in einem dauernden Ausnahmezustand, in dem die gesetzliche Ordnung und die Gewohnheiten des Zusammenlebens durch eine übergeordnete Macht außer Kraft gesetzt wurden. Der Ausnahmezustand ist ein Kriegszustand – in einigen Teilen der Welt bleibt dieser Krieg niederschwellig, in anderen wird er intensiv geführt, doch nirgends ist ein Ende abzusehen. Wir sollten diesen Ausnahmezustand jedoch nicht für einen Normalzustand der menschlichen Gesellschaft halten oder glauben, dass es sich um das Wesen des modernen Staates handelt, auf das die Macht unweigerlich zuläuft. Der Ausnahmezustand ist vielmehr eine Form der Tyrannei, die wie jede Diktatur nur existieren kann, weil wir uns freiwillig unterwerfen.
    Obwohl wir zugleich Beobachter und Beobachtete oder Aufseher und Gefangene sind, bedeutet das noch nicht, dass wir uns alle in derselben Situation befinden und dass kein Unterschied mehr besteht, ob wir vor oder hinter den Gefängnismauern leben. Im Gegenteil, in den vergangenen Jahrzehnten ist die Zahl der Gefängnisinsassen dramatisch gestiegen, vor allem wenn man diejenigen Menschen hinzuzählt, die unter polizeilicher Aufsicht stehen, in Untersuchungshaft einsitzen oder in Flüchtlingslagern und anderen Verwahranstalten leben.
    Es ist ein Skandal, dass die Zahl der Häftlinge in den Vereinigten Staaten seit Anfang der 1970er Jahre um 500 Prozent gestiegenist – oder es sollte ein Skandal sein, denn erstaunlicherweise scheint sich niemand für diese Zahl zu interessieren. Die Vereinigten Staaten sperren einen größeren Anteil ihrer Bevölkerung ein als jedes andere Land der Welt. Trotz der gewaltigen Gefängnisbauprojekte der vergangenen Jahrzehnte sind die Zellen überfüllt. Dieser massive Anstieg lässt sich nicht mit der gestiegenen Zahl der Verbrechen oder einer effizienteren Aufklärungsarbeit der Polizei erklären. Im Gegenteil, in den vergangenen vier Jahrzehnten ist die
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