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Demokratie! - wofür wir kämpfen

Demokratie! - wofür wir kämpfen

Titel: Demokratie! - wofür wir kämpfen
Autoren: Campus
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Kriminalitätsrate weitgehend konstant geblieben.
    Dieser Skandal ist umso dramatischer wenn man sich den Zusammenhang zwischen dem Anstieg der Verurteilungen und der Hautfarbe ansieht. Latinos werden doppelt so häufig zu Haftstrafen verurteilt wie Weiße, und Afroamerikaner sogar sechsmal so häufig. In den Todeszellen ist das Missverhältnis noch extremer. Die Liste der schockierenden Statistiken lässt sich beliebig fortsetzen: Heute sitzen beispielsweise mehr als 12 Prozent aller männlichen Afroamerikaner zwischen 20 und 30 Jahren in Haft. Wie Michelle Alexander vorrechnet, befinden sich heute mehr Afroamerikaner in Gefängnissen als Mitte des 19. Jahrhunderts in Sklaverei. Kritiker bezeichnen diese rassistische Verzerrung als Rückkehr des Plantagensystems oder als neue Form der Rassentrennung. Doch dieses Phänomen ist nicht auf die Vereinigten Staaten beschränkt: Wenn man die Lager für Flüchtlinge und Asylbewerber zum Gefängnisapparat hinzurechnet, werden dunkelhäutige Menschen auch in Europa und anderswo unverhältnismäßig häufig weggesperrt.
    Die Verwahrten sind also keine homogene Gruppe. Im Gegenteil, die geradezu unendlichen Schattierungen der Überwachung sind einer der Hauptgründe dafür, dass die Verwahrung funktioniert. Es gibt immer andere, die noch größerer Kontrolleund Überwachung unterstehen als wir, und sei der Unterschied auch noch so klein.
    Im selben Zeitraum, in dem die Zahl der Häftlinge explodierte, erlebte die Gesellschaft der Vereinigten Staaten außerdem eine erstaunliche Militarisierung. Das Bemerkenswerte daran ist weniger die Zahl der Soldaten als vielmehr ihre gesellschaftliche Akzeptanz. In den letzten Jahren des Vietnamkriegs wurden heimkehrende Soldaten angeblich noch von Demonstranten angespuckt und als Kindsmörder beschimpft. Das war vermutlich ein Gerücht, mit dem die Kriegsgegner verunglimpft werden sollten, doch es ist ein Hinweis darauf, dass Soldaten damals kein allzu großes Ansehen genossen. Nur wenige Jahrzehnte später sind die Militärangehörigen (wieder) Gegenstand der nationalen Verehrung. Uniformierte werden selbst bei zivilen Flügen bevorzugt behandelt, und es kommt immer wieder vor, dass wildfremde Menschen auf der Straße auf sie zugehen und ihnen ihren Dank aussprechen. Dieses neue Ansehen der Uniform geht Hand in Hand mit der zunehmenden Militarisierung der Gesellschaft der Vereinigten Staaten. Daran ändern auch Enthüllungen über die Menschenrechtsverletzungen und Folterpraktiken der Militärgefängnisse von Guantánamo bis Abu Ghraib nichts.
    Die wachsende Zahl der Gefangenen und die zunehmende Militarisierung, die von den Vereinigten Staaten angeführt werden, sind nur der greifbarste Ausdruck eines diffusen Überwachungssystems, das uns alle erfasst und einspannt. Ein Phänomen, das schon in der Vergangenheit mit der zunehmenden Überwachung einherging, ist die Vorherrschaft neoliberaler Strategien der kapitalistischen Wirtschaft. Die zunehmende Flexibilität, Mobilität und wirtschaftliche Unsicherheit der Arbeitenden, wie sie die neoliberale Wirtschaft mit sich bringt, markiert eine neuePhase der primitiven Bereicherung, in der neue Reservearmeen geschaffen werden. Wenn die beschäftigungslosen und unterbeschäftigten Armen sich selbst überlassen werden, können sie aus Sicht der herrschenden Ordnung zur Gefahr werden.
    Sämtliche Formen der Inhaftierung und Rekrutierung durch das Überwachungssystem übernehmen letztlich die Funktion der »Blutgesetzgebung«, wie Marx die Gesetze nannte, die sich im vorkapitalistischen England gegen die Besitzlosen richteten. Diese Gesetze zwangen nicht nur die ehemalige Landbevölkerung, feste Arbeit in den Städten anzunehmen, sondern sie schufen auch die Disziplin, die dafür sorgte, dass die künftigen Proletarier die Lohnarbeit annahmen, als handele es sich um ihren eigenen Wunsch und ihr unausweichliches Schicksal. Genauso bewirkt unsere Teilnahme an der Überwachungsgesellschaft eine Dressur unserer Wünsche und Hoffnungen, vor allem aber unserer Ängste. Gefängnisse dienen unter anderem als Verwahranstalten für überzählige Teile der Bevölkerung, aber auch als abschreckende Lektion für die »freie« Bevölkerung.
    Die gegenwärtige Wirtschafts- und Finanzkrise weckt darüber hinaus eine ganze Reihe neuer Ängste. Die größte ist oft, den Arbeitsplatz und damit die Lebensgrundlage zu verlieren. Daher müssen wir uns als gute Arbeitnehmer beweisen, die ihren Arbeitgebern gegenüber loyal
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