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Demokratie! - wofür wir kämpfen

Demokratie! - wofür wir kämpfen

Titel: Demokratie! - wofür wir kämpfen
Autoren: Campus
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weitere englische Städte übergriffen.
    Als am 17. September schließlich einige hundert Besetzer im Zuccotti Park von New York City ihre Zelte aufschlugen, trugen sie die Fackel weiter. Ihr Protest, der sich rasch auf den Rest der Vereinigten Staaten und andere Länder ausweitete, muss vor dem Hintergrund der vorangegangenen Ereignisse dieses Jahres verstanden werden.
    Außenstehende mögen die Gemeinsamkeiten zwischen diesen Ereignissen nicht auf Anhieb erkennen. Die Proteste in Nordafrika richteten sich gegen Unrechtsregime, sie forderten den Sturz von Tyrannen und freie Wahlen, während sich Demonstranten in Europa, den Vereinigten Staaten und Israel mit ihren vielfältigen sozialen Forderungen genau gegen dieses Prinzip der repräsentativen Demokratie wandten. Die Teilnehmer der israelischen Protestcamps wogen ihre Forderungen sorgfältig ab, um die Frage der Siedlungen und der Rechte der Palästinenser auszuklammern; die Griechen stehen vor Schulden und Sparmaßnahmen von beispiellosen Ausmaßen; und die britischen Randalierer richteten ihren Zorn schließlich gegen eine lange Geschichte der Rassendiskriminierung und schlugen nicht einmal Zelte auf.
    Jede dieser Auseinandersetzungen ist einmalig und entspringt ganz spezifischen örtlichen Gegebenheiten. Trotzdem fällt sofort auf, dass sie untereinander in Verbindung standen. Die Ägypter gingen den Weg, den die Tunesier vor ihnen gegangen waren, und übernahmen sogar einige der Parolen, und die Besetzer der Puerta del Sol nahmen die Erfahrungen des Tahrir-Platzes auf. Die Demonstranten von Athen und Tel Aviv wiederum richteten die Augen auf Madrid und Kairo. Und die Besetzer der Wall Street hatten alle im Blick und übersetzten den Kampf gegen Tyrannen in einen Kampf gegen die Tyrannei der Banken. Man könnte ihnen vorwerfen, die Unterschiede der Situationen und Forderungen übersehen oder unterschlagen zu haben. Wir glauben jedoch, dass die Demonstranten klarer sahen als Außenstehende, und dass sie ihre einmalige Situation und ihren Protest sehr wohl ohne größere Widersprüche mit den gemeinsamen globalen Anstrengungen in Verbindung setzen konnten.
    Ralph Ellisons »unsichtbarer Mann« entwickelte nach seiner leidvollen Reise durch die rassistische Gesellschaft der Vereinigten Staaten die Fähigkeit, mit anderen zu kommunizieren, die sich wie er im Widerstand befanden. »Wer weiß, ob ich nicht, vielleicht auf den niederen Frequenzen, auch für dich spreche?«, schließt Ellisons Erzähler. Auch heute kommunizieren Menschen im Widerstand auf diesen niederen Frequenzen miteinander. Aber im Unterschied zu Ellisons Zeiten spricht heute niemand mehr für sie. Die niederen Frequenzen stehen allen offen. Und einige Botschaften werden nur von Menschen wahrgenommen, die sich selbst im Widerstand befinden.
    Die Bewegungen haben jedoch eine ganze Reihe von Gemeinsamkeiten, allen voran die Strategie des Protestcamps oder der Besetzung. Die Globalisierungskritiker des vergangenen Jahrzehnts waren Nomaden. Sie zogen von einem Gipfeltreffen zum nächsten, um gegen die Ungerechtigkeit und antidemokratische Natur der zentralen Institutionen des globalen Machtgefüges zu demonstrieren: die Welthandelsorganisation, den Internationalen Währungsfonds, die Weltbank, die G8-Staaten, und so weiter. Die Proteste, die im Jahr 2011 ihren Anfang nahmen, sind dagegen sesshaft. Statt dem Kalender der Gipfeltreffen nachzulaufen, lassen sie sich an einem Ort nieder und weigern sich, diesen zu verlassen. Diese Unbeweglichkeit hängt vor allem damit zusammen, dass sie fest in regionalen und nationalen Auseinandersetzungen verwurzelt sind.
    Eine weitere Gemeinsamkeit dieser Bewegungen ist die Struktur der Multitude. In Tunesien und Ägypten suchten ausländische Journalisten händeringend nach Anführern. Auf dem Höhepunkt der Besetzung des Tahrir-Platzes präsentierten sie fast täglich einen anderen »Kopf«: Erst war es der NobelpreisträgerMohamed ElBaradei, wenig später der Google-Mitarbeiter Wael Ghonim, und so weiter. Sie konnten oder wollten nicht verstehen, dass es am Tahrir-Platz keine Führer gab. Die Weigerung, Führungspersonen zu akzeptieren, war allen Bewegungen gemeinsam, aber am deutlichsten war sie vermutlich an der Wall Street. Zwar gaben sich im Zuccotti Park zahlreiche Intellektuelle und Prominente ein Stelldichein, aber niemand betrachtete sie als Anführer: Sie waren die Gäste der Multitude. Von Kairo und Madrid bis nach Athen und New York entwickelten die
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