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Demokratie! - wofür wir kämpfen

Demokratie! - wofür wir kämpfen

Titel: Demokratie! - wofür wir kämpfen
Autoren: Campus
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Bewegungen vielmehr horizontale Organisationsformen. Sie errichteten keine Hauptquartiere und beriefen keine Zentralkomitees ein, sondern breiteten sich aus wie Schwärme und entwickelten demokratische Entscheidungsprozesse, mit deren Hilfe alle Beteiligten gemeinsam führten.
    Eine dritte Eigenschaft aller Bewegungen ist der Kampf um das Gemeineigentum, der an einigen Orten auch in Form von Feuer zum Ausdruck kam. Das Fanal Mohamed Bouazizis wurde nicht nur als Protest gegen seine Misshandlung durch Polizeibeamte verstanden, sondern auch gegen das verbreitete soziale und wirtschaftliche Elend der Arbeitnehmer, von denen viele keine Arbeit finden, die ihren Qualifikationen entspricht. In Tunesien und Ägypten übersahen viele Beobachter, dass es den Protestbewegungen nicht nur um den Sturz des Tyrannen ging, sondern auch um tiefgreifende soziale und wirtschaftliche Belange, und sie vernachlässigten die entscheidende Rolle der Gewerkschaften. Auch in den Brandstiftungen und Plünderungen in London kam der Protest gegen die herrschende wirtschaftliche und gesellschaftliche Ordnung zum Ausdruck. Wie die Unruhen in Paris im Jahr 2005 und in Los Angeles ein Jahrzehnt zuvor waren sie eine Reaktion auf komplexe gesellschaftliche Probleme, allen vorandie Rassenunterdrückung. Aber in jedem dieser Fälle sind die Flammen auch eine Reaktion auf die Macht der Konsumgüter und des Eigentums, die oftmals Instrumente der Unterdrückung sind. Insofern sich diese Kämpfe gegen die Ungerechtigkeiten des Neoliberalismus und die Herrschaft des Privateigentums wandten, waren sie auch Kämpfe für das Gemeinschaftliche. Das macht sie jedoch noch lange nicht sozialistisch. Im Gegenteil, die gegenwärtigen Protestbewegungen teilen wenig mit dem traditionellen Sozialismus: Ihr Kampf für das Gemeinsame richtet sich nicht nur gegen die Herrschaft des Privateigentums, sondern auch gegen die Herrschaft des Staatseigentums und gegen die staatliche Kontrolle.
    In dieser Streitschrift betrachten wir die Forderungen und Errungenschaften der Proteste, die im Jahr 2011 ihren Anfang nahmen, auch wenn wir sie eher indirekt angehen. Zunächst wollen wir uns die allgemeinen gesellschaftlichen und politischen Bedingungen ansehen, in denen die Proteste aufkamen. Dazu gehen wir von den Rollen 1 aus, in die uns die heutigen sozialen und politischen Krisen zwängen. In der Folge betrachten wir die vier wichtigsten Rollen: die Verschuldeten, die Vernetzten, die Versicherten und die Vertretenen. Dabei handelt es sich durchweg um entkräftete Subjekte, die keinen Zugang zu ihrer politischen Handlungsfähigkeit haben.
    In Revolten und Rebellionen können wir uns der Unterdrückung verweigern, unter denen wir in diesen Rollen leiden, vor allem aber können wir diese Rollen in ihr Gegenteil verkehrenund unsere Macht zurückerobern. Wir entdecken neue Formen wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und kommunikativer Unabhängigkeit und Sicherheit, die es uns ermöglichen, das Modell der repräsentativen Demokratie zu überwinden und unsere eigenen Fähigkeiten zu demokratischem Handeln zu behaupten. Dies sind nur einige der Errungenschaften der neuen Protestbewegungen, die sich natürlich noch weiter entwickeln lassen.
    Um unsere Handlungsfähigkeit zu bewahren und zu festigen, müssen wir jedoch einen Schritt weiter gehen. Die neuen Protestbewegungen haben bereits einige Grundsätze formuliert, die als Ausgangspunkt für eine Neukonstituierung der Gesellschaft dienen können. Eine ihrer radikalsten Entscheidungen war beispielsweise die Ablehnung der repräsentativen Demokratie und die Schaffung neuer Formen der demokratischen Beteiligung. Sie verleihen zentralen politischen Begriffen wie Freiheit und Gemeineigentum neue Bedeutungen und sprengen die Grenzen der heutigen liberalen Verfassungen. Diese neuen Definitionen finden bereits Eingang in unseren Alltag, und die Grundprinzipien gelten inzwischen als unveräußerliche Rechte, genau wie diejenigen, die von den Revolutionen des 18. Jahrhunderts hervorgebracht wurden.
    Es geht nicht darum, neue soziale Beziehungen festzuschreiben, sondern darum, einen Verfassungsprozess anzustoßen, der den neuen Beziehungen einerseits Struktur und Festigkeit verleiht, aber andererseits weitere Veränderungen zulässt und für die Wünsche der Multitude offenbleibt. Die sozialen Bewegungen haben eine neue Unabhängigkeit erklärt und diese muss nun in einem Verfassungsprozess verwirklicht werden.

Kapitel 1
    Politisches Handeln in
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