Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Demokratie! - wofür wir kämpfen

Demokratie! - wofür wir kämpfen

Titel: Demokratie! - wofür wir kämpfen
Autoren: Campus
Vom Netzwerk:
Arbeitsverhältnisse haben sich verändert. Der Schwerpunkt der kapitalistischen Produktion hat sich vor die Tore der Fabrik verlagert. Die Gesellschaft selbst istzur Fabrik geworden, oder anders ausgedrückt hat sich die kapitalistische Produktion derart ausgeweitet, dass sie die gesamte Gesellschaft unter ihre Kontrolle gebracht hat. Das Kapital beutet zunehmend die ganze Breite unserer produktiven Kapazitäten aus, unseren Körper und unseren Geist, unsere kommunikativen Fähigkeiten, unsere Intelligenz und unsere Kreativität, unsere zwischenmenschlichen Beziehungen und so weiter. Das Leben selbst wird zur Arbeit gezwungen.
    Damit verändert sich auch die Beziehung zwischen Kapitalisten und Arbeitenden. Das klassische Symbol der Ausbeutung ist heute nicht mehr der Industriekapitän, der eine Arbeiterschaft lenkt und diszipliniert, um Profite zu erzielen. Heute sind die Kapitalisten weiter vom Schauplatz entfernt und die Arbeitenden erwirtschaften die Profite selbstständiger. Kapitalisten mehren ihren Reichtum heute eher durch Zinsen als durch Profite, und zwar vor allem auf dem Finanzmarkt und mit Finanzinstrumenten. An diesem Punkt kommen die Schulden ins Spiel, und zwar als Instrument zur Aufrechterhaltung der Produktion und Ausbeutung. Die Ausbeutung funktioniert heute nicht mehr über den (gleichen oder ungleichen) Tauschhandel, sondern über Schulden und darüber, dass 99 Prozent der Bevölkerung einem Prozent unterstehen und diesem Arbeit, Geld und Gehorsam schulden.
    Schulden machen die Produktivität der Arbeitenden unsichtbar, aber ihre Abhängigkeit sichtbarer. In der Fabrik wurde die Ausbeutung der Arbeit zwar mit dem Mythos des Lohnverhältnisses verschleiert, doch ihre Produktivität wurde anhand einer festen Regel gemessen, nämlich der Arbeitszeit. Heute wird die Produktivität dagegen immer unsichtbarer, da die Grenze zwischen Arbeitszeit und Lebenszeit immer weiter verschwimmt.Um überleben zu können, müssen die Verschuldeten ihre gesamte Lebenszeit verkaufen. Selbst in ihrer eigenen Wahrnehmung erscheinen sie in erster Linie als Konsumenten, nicht als Produzenten: Zwar produzieren die Verschuldeten auch, doch sie arbeiten vor allem, um ihre Schulden zu bezahlen, die sie mit ihrem Konsum selbst zu verantworten haben. Gegenüber dem Mythos vom gleichberechtigten Handel hat dieses Schuldner-Gläubiger-Verhältnis den Vorteil, dass es die massive Ungleichheit der kapitalistischen Gesellschaft entlarvt.
    Dieser Wandel von der Ausbeutung zur Verschuldung entspricht dem Wandel des Kapitalismus von der Vorherrschaft des Profits (der Ausbeutung der individuellen Arbeitskraft) zur Vorherrschaft des Zinses (der Ausbeutung der gesellschaftlichen Entwicklung) und damit zur Akkumulation von Werten, die kollektiv und in immer abstrakterer Form produziert werden. Die Produktion basiert also immer weniger auf individuellen und immer stärker auf gesellschaftlichen Formen der Arbeit, und damit auf Arbeitenden, die auch ohne Kontrolle und Disziplinierung durch die Kapitalisten kooperieren. Die Kapitalisten sind weit von der Produktion des Reichtums entfernt und nehmen die grausame Wirklichkeit der Ausbeutung, die Gewalt der Produktion und das Leid bei der Erwirtschaftung ihres Reichtums gar nicht wahr. Von der Wall Street aus ist das Leid des einzelnen Arbeiters bei der Wertschöpfung unsichtbar, denn der Wert basiert auf der Ausbeutung einer gewaltigen bezahlten und unbezahlten Multitude. All dies verschwindet hinter der Kontrolle des gesamten Lebens durch den Finanzmarkt.
    Es entsteht eine neue Form der Armut. Zu den Armen gehören heute nicht nur Arbeitslose und Arbeitnehmer in prekären Beschäftigungsverhältnissen, sondern auch Arbeitnehmer in Festanstellungund verarmte Teile der sogenannten Mittelschicht. Ihre Armut kommt vor allem in ihrer Verschuldung zum Ausdruck. Die zunehmende Ausweitung der Verschuldung markiert eine Rückkehr zu Formen der Knechtschaft, wie sie schon lange vergessen schienen. Und doch hat sich Vieles verändert.
    Mit einer gewissen Ironie beschrieb Marx die Proletarier des Industriezeitalters als »vogelfrei«: Sie sind zwar nicht mehr Eigentum ihrer Herren und nicht mehr der mittelalterlichen Knechtschaft unterworfen, aber wie die Vögel sind sie auch »frei« von jeglichem Eigentum an Produktionsmitteln. Die neuen Armen haben immer noch kein Eigentum, aber aufgrund ihrer Schulden sind sie wieder Eigentum ihrer Herren, die über den Umweg der Finanzwelt herrschen. Es ist die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher