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Dem Tod auf der Spur

Titel: Dem Tod auf der Spur
Autoren: Michael Tsokos
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gibt aber auch noch einen zweiten Grund: Auch von dem hartgesottensten Profi kann man nicht erwarten, diekomplette Obduktion an einem Stück vorzunehmen, deshalb wird sie zumeist auf drei oder mehr Tage verteilt.
    Zuletzt darf auch nicht verschwiegen werden, dass Rechtsmediziner fast immer einen Spleen pflegen. Das hilft ihnen, mit ihrem grausamen Berufsalltag fertig zu werden. Die einen sind chronisch schlecht gelaunt, grundsätzlich wortkarg und gehen davon aus, dass die Ermittler der Kriminalpolizei ihnen nur das Leben schwermachen wollen. Ihr Markenzeichen: Sie nuscheln immer vor sich hin. Die anderen hören beim Obduzieren Opern, um sich auch in der Begegnung mit dem Tod dem Schönen und Erhabenen zuzuwenden, und wollen für ihre sorgfältige Arbeit dauernd gelobt werden.
    Womit man immer rechnen muss, ist, dass der Rechtsmediziner eine Glatze hat und sein Brötchen neben der Leiche isst. Und Frauen sind hier gar nicht erlaubt…
    Zugegeben, nicht alle Krimi- und Drehbuchautoren schreiben so gezielt an der Wahrheit vorbei, trotzdem haben nur sehr wenige Menschen außerhalb der Rechtsmedizin eine Vorstellung davon, wie es im Obduktionssaal wirklich zugeht.
    Vor allem reißerische TV-Serien, in denen das Unmögliche möglich gemacht wird und die rechtsmedizinischen Helden mit Hightech und an hellseherische Fähigkeiten grenzendem Spürsinn den Tathergang rekonstruieren und den Täter überführen, verschleiern und verzerren die Arbeit des Rechtsmediziners eher, alsdass sie sie erhellen. Da werden in wenigen Stunden ganz neue wissenschaftliche Methoden entwickelt, und es werden Thesen vertreten, bei denen sich dem professionellen Rechtsmediziner die Haare sträuben.
    All das kennen Sie möglicherweise schon sehr gut, sonst hätten Sie vielleicht dieses Buch gar nicht gekauft. Die Welt hingegen, in die ich Sie entführen werde, ist nicht die Welt der Fernsehserien. Rechtsmediziner sind keine durchgestylten Schnösel in Designeranzügen, die mehr Zeit beim Essen mit attraktiven Staatsanwältinnen verbringen als bei ihrer Arbeit. Und eine Schusswaffe tragen wir auch nicht mit uns herum. Wir sind auch keine kauzig zurückgezogenen, graugesichtigen Eigenbrötler, die selbst schon wie Leichen aussehen. Im Gegenteil: Auch wenn wir mit Toten zu tun haben, sind wir äußerst lebendig und haben Spaß am Leben, gerade weil wir tagtäglich mit der Allgegenwart des Todes konfrontiert werden und daher nur allzu gut wissen, wie schnell das Leben plötzlich vorbei sein kann.
    Deshalb halte ich es für sinnvoll, hier zunächst einmal die grundlegenden Dinge unserer Arbeit und unseres Arbeitsalltags vorzustellen, bevor ich zu den einzelnen Todesfällen komme.
    Als Erstes und Wichtigstes: Ich bin kein Pathologe! Tatsächlich werden wir Rechtsmediziner in den meisten Fernsehkrimis als »Pathologen« tituliert. Dabei haben Rechtsmediziner und Pathologen zwei vollkommen unterschiedliche Facharztausbildungen mit ebenso unterschiedlichen Aufgabengebieten.
    Pathologen überprüfen klinische Diagnosen und benötigen für die Durchführung einer Obduktion das Einverständnis der Angehörigen des Verstorbenen. Sie beschäftigen sich mit Todesfällen, die Folge innerer Erkrankungen sind, wie z. B. Diabetes oder ein fortgeschrittenes Krebsleiden. Der Rechtsmediziner beschäftigt sich hingegen überwiegend mit nicht-natürlichen, eben nicht krankheitsbedingten Todesfällen. Und wir benötigen auch kein Einverständnis der Angehörigen – was sicher einleuchtend ist, denn bei sehr vielen Verbrechen stammt der Täter aus dem direkten, häufig familiären Umfeld des Getöteten. In unserem Fall wird die Obduktion von einem Richter oder Staatsanwalt angeordnet, und der Verstorbene wird erst an die Angehörigen bzw. das von ihnen beauftragte Bestattungsunternehmen übergeben, wenn seitens der Rechtsmedizin keine Bedenken mehr bestehen.
    Der Obduktionssaal ist auch mitnichten ein schummeriges Kellergewölbe, in dem nur wenige Lampen brennen und in dessen Mitte, wie ein Altar, der Sektionstisch mit der Leiche steht, genauso wenig wie wir Rechtsmediziner blasse Gestalten mit großen Hornbrillen sind, die tagelang in gekachelten Räumen an der gleichen Leiche herumdoktern.
    In unserem Sektionssaal in Berlin-Moabit stehen fünf Sektionstische nebeneinander, an denen auch fast immer parallel gearbeitet wird. Das Licht ist genauso hell wie im Operationssaal eines Krankenhauses – sonst würde man nämlich nicht genug sehen! –, und es arbeitet nicht
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