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Dem Tod auf der Spur

Titel: Dem Tod auf der Spur
Autoren: Michael Tsokos
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erster und einziger Präsident der DDR (1949–1960), ordnete 1950 die Suche nach den sterblichen Überresten der beiden Genossen auf dem Friedhof in Friedrichsfelde an. Obwohl die Suche erfolglos verlief, ließ er dort eine neue Gedenkstätte für die beiden Ikonen des Sozialismus errichten. Auch heute noch pilgern am Tag der Ermordung Luxemburgs und Liebknechts am 15. Januar jährlich Zehntausende an die Gedenkstätte in Berlin.
    Ganz ohne Zweifel war es aber nicht der Leichnam Rosa Luxemburgs, der am 13. Juni in Berlin-Friedrichsfelde beerdigt worden ist. Aber ist die Fettwachsleiche, die sich immer noch im Institut für Rechtsmedizin in der Berliner Charité befindet, die 1919 ermordete Revolutionsführerin? Nach über zweieinhalbjähriger Spurensuche spricht vieles dafür und nichts dagegen. Es fehlt nur der letzte Beweis, ein kleines, aber letztlich das entscheidende Puzzleteil in dem großen Rätsel um Rosa Luxemburg – der DNA-Beweis.
    Es ist erfreulich, über welche Methoden die moderne Rechtsmedizin inzwischen verfügt, um selbst in so weit zurückliegenden Fällen vieles aufzeigen und ausschließen zu können. Zentral ist dabei, dass wir bei einigen Toten auch ein knappes Jahrhundert nach dem Tod noch die DNA des Menschen analysieren können. Spurenträger, wie persönliche Gegenstände der Verstorbenen herzaubern, mit denen ein DNA-Profil sich vergleichen ließe, wird aber immer die Möglichkeiten der Rechtsmedizin überschreiten.

Was heißt hier spektakulär? Ein Resümee
    Wenn Sie als Leser bis hierhin vorgedrungen sind, mussten Sie, während Sie dem Tod auf der Spur waren, einiges mit ansehen: Sie wurden mittelbar Zeuge bei einem Mord im Zuhältermilieu, dessen Opfer danach auf einer Landstraße kilometerweit unter einem Wagen mitgeschleift wurde, und bei einem Mord unter geistig verwirrten Menschen in einem Umfeld sozialer Verwahrlosung. Sie haben erlebt, wie eine Unachtsamkeit bei der Jagd zu einem tödlichen Unfall führte, wie ein Drogenkurier an seinen Transportgütern starb und wie Alkohol und Kälte eine unheilvolle Allianz eingingen. Und nicht zuletzt haben Sie die tödliche Entschlossenheit von Menschen kennengelernt, die mit aller Macht aus dem Leben scheiden wollen: durch eine im fahrenden Auto ausgelöste Explosion, durch Aderlass und anschließende Selbstenthauptung oder durch das Aufschneiden der Pulsadern in einer Regentonne als selbstgewähltem Versteck vor der Welt der Lebenden.
    Alle diese Fälle haben eines gemeinsam: Sie fanden nicht in der Welt der Reichen und Schönen statt, die wir zwar bestaunen, die aber nicht unsere Welt ist, sondern mitten unter uns. Das einzige Opfer, dass einegewisse »Berühmtheit« erlangte, war ein kleines Mädchen, und ihre erschütternde Berühmtheit kam erst mit dem Tod, der unbedingt hätte verhindert werden müssen. Spektakulär sind die zwölf hier beschriebenen Fälle also nicht durch eine Brisanz, die vor allem die Boulevardmedien gern aus vermeintlich rätselhaften Todesfällen von sogenannten Celebrities stricken. Spektakulär sind sie insofern, als sie in zugespitzter Weise Phänomene unserer Gesellschaft beleuchten, die wir alle lieber ausklammern, mit denen wir Rechtsmediziner aber tagtäglich konfrontiert werden. Und diese Todesfälle sind meiner Meinung nach gerade dadurch spektakulär, dass es sich bei den Opfern um Menschen handelt, neben denen wir vielleicht schon einmal an der Bushaltestelle oder an der Supermarktkasse gestanden haben.
    Das heißt jedoch nicht, dass ich der Meinung bin, wir alle sollten verpflichtet werden, uns fortan täglich mit den Tragödien um uns herum zu beschäftigen. Überhaupt lasse ich meinen Zeigefinger lieber seinen Beitrag zu meiner Arbeit als Rechtsmediziner leisten, als ihn moralisch zu erheben. Aber was ich täglich in meinem Beruf zu sehen bekomme, sollte auch nicht versteckt werden, denn diese dunkle Seite unserer Gesellschaft, die all diese Todesfälle offenbaren, ist nicht gottgegeben. Jeder dieser unnatürlichen Todesfälle ist für sich ein Warnsignal. Und in dem, was an jedem Tag im Obduktionssaal vor uns auf dem Stahltisch liegt, lassen sich jede Menge Hinweise finden, wo und wie in unserer Gesellschaft etwas gründlich schiefläuft. Also sollten wir diese traurige Welt aus unserem Leben nichtverbannen, sondern stattdessen lieber noch genauer hinsehen, aus Liebe zum Leben. Dieses Buch soll ein kleiner Beitrag dazu sein – nicht mehr, aber auch nicht weniger.

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