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Dem Tod auf der Spur

Titel: Dem Tod auf der Spur
Autoren: Michael Tsokos
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erhielten wir die Erlaubnis, zwei Briefumschläge mit Briefmarken sowie eine frankierte Postkarte, die von Rosa Luxemburg zwischen 1918 und 1919 abgeschickt worden waren, zu untersuchen. Doch leider blieben diese Untersuchungen ohne Ergebnis. Sämtliche Briefmarken und die Umschlagfalz waren offensichtlich mit Wasser angefeuchtet worden – es fand sich nirgendwo DNA-haltiges Material. Auch alle weiteren Recherchen nach möglichen noch existierenden persönlichen Gegenständen von Rosa Luxemburg liefen ins Leere. Und da ihre Briefe in den letzten neunzig Jahren durch die Hände zahlreicher Historiker gegangen waren, die daran nun ihrerseits ihre eigene DNA hinterlassen hatten, machte es wenig Sinn, sie zu untersuchen. Persönliche Gegenstände mussten her, am liebsten wäre uns ein Schal, ein Mantel oder ein Hut gewesen, denn an ihnen hätten sich noch am ehesten Hautschuppen oder Haare für einen DNA-Vergleich finden lassen.
    Eine Nachfrage im Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn verlief diesbezüglich ergebnislos. Es hieß, dort seien keine persönlichen Gegenstände aus dem Besitz von Rosa Luxemburg vorhanden. Auch die Rosa-Luxemburg-Stiftung und dieStiftung »Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv« konnten uns nicht weiterhelfen.
    Da ein DNA-Abgleich nicht möglich war, ging es nun um eine Ausschlussdiagnose (im Kapitel »Nackte Tatsachen« habe ich das Prinzip der Ausschlussdiagnose ja bereits erklärt): Solange wir keinen Beweis für die vermutete Identität unserer Fettwachsleiche finden konnten, würden wir nach Gegenbeweisen suchen müssen. Dafür veranlasste ich als Erstes eine computertomographische Untersuchung. Sie ergab, dass unsere Frauenleiche zum Zeitpunkt ihres Todes zwischen 40 und 50 Jahre alt gewesen war (Rosa Luxemburg war mit 47 ermordet worden) und dass – wie schon die konventionelle radiologische Untersuchung ergeben hatte – die Verstorbene zu Lebzeiten an einer Arthrose des Hüftgelenks gelitten hatte. Auch fand sich eine Beinlängendifferenz, beides Befunde, die darauf schließen ließen, dass diese Person zu Lebzeiten einen »watschelnden« oder hinkenden Gang gehabt haben könnte. Die Frau hatte, wie die Berechnung aufgrund ihrer Oberschenkellängen ergab, eine Körpergröße von 1,50 Meter. Dies waren weitere Übereinstimmungen unserer unbekannten Toten mit Rosa Luxemburg.
    Ein weiterer interessanter CT-Befund war, dass Hals und Kopf unmittelbar oberhalb des 1. Brustwirbelkörpers abgetrennt worden waren. Aufgrund der Unversehrtheit des Wirbelkörpers und der geraden Schnittfläche der Abtrennungsstelle muss dies professionell und postmortal geschehen sein.
    Es gibt die belegte Aussage eines mittlerweile verstorbenen Zeitzeugen, dass er den Kopf von Rosa Luxemburg um 1975 noch im Bestand der anatomischen Sammlung des Instituts für Rechtsmedizin gesehen hatte. Dass der Schädel abgetrennt wurde, wäre nicht weiter erstaunlich. Bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts hinein herrschte ein regelrechter »Schädelfetischismus«, bei dem Anatomen, Anthropologen und Rechtsmediziner die Häupter historischer Persönlichkeiten abtrennten und als Sammlerstücke aufbewahrten. So befindet sich z.B. heute noch der Kopf des 1925 enthaupteten Serienmörders Fritz Haarmann in der Sammlung des Göttinger Instituts für Rechtsmedizin.
    Dass überhaupt eine anatomische Sammlung in der Berliner Rechtsmedizin (wie auch andernorts nicht nur in der Rechtsmedizin, sondern auch in Anatomie, Pathologie, Chirurgie, Gynäkologie) angelegt wurde, ist zum einen darauf zurückzuführen, dass die Asservierung und Sammlung von Körper- oder Leichenteilen durch Ärzte bis Ende des 20. Jahrhunderts gesetzlich nicht scharf geregelt war. Zum anderen besteht noch nicht lange die Möglichkeit, detailgetreue Farbaufnahmen anzufertigen. Heutzutage ist es undenkbar, dass wir Leichenteile, Knochenstücke oder gar ganze Leichen zurückbehalten. Dank der (digitalen) Farbfotographie und anderer Techniken wie zum Beispiel Abgüssen und Anfertigung von Wachsmodellen können wir die interessanten Befunde dokumentieren. Insofern gehören derartige Präparatesammlungen der Vergangenheit an.
    Warum bei der Fettwachsleiche außer dem Kopf auch die Hände und Füße fehlen, darüber kann man nur spekulieren. DassWasserleichen,die sich viele Monate oder gar Jahre im Wasser befunden haben, die Hände und Füße oder sogar ganze Extremitäten fehlen, ist nicht selten.
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