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Dem Tod auf der Spur

Titel: Dem Tod auf der Spur
Autoren: Michael Tsokos
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Gegenteil, es werden sogar klare Hinweise gegeben, dass die obduzierte Person nicht Rosa Luxemburgs Körpergröße hatte, nicht an einer Hüfterkrankung litt, keine Beinlängendifferenz aufwies und auch nicht vor ihrem Tode mit Gewehrkolbenschlägen malträtiert worden war.
    Im zweiten Teil des Obduktionsprotokolls, nun vom 13. Juni 1919 und dreizehn Seiten umfassend, wird diese unbekannte Wasserleiche plötzlich zu Rosa Luxemburg: »In der Leichenermittlungssache Luxemburg erstatten wir nachstehend das erforderte Nachtragsgutachten.« Interessanterweise wird mit keinem Wort erwähnt, wie die unbekannte Frauenleiche nun als Rosa Luxemburg identifiziert werden konnte. Strassmann und Fraenckel notieren schlicht: »Wir glauben, nachdem inzwischen eine bestimmte Rekognition erfolgt ist, auf den Teil unseres Gutachtens, der sich auf die Bestimmung der Persönlichkeit bezog, nicht weiter eingehen zu müssen.« Wie hätten sie denn auch darauf eingehen können, da es keine rechtsmedizinisch feststellbaren Befunde gab, die diese Identifizierung möglich gemacht hätten? Die am 3. Juni 1919 als unbekannte Wasserleiche obduzierte Frauenleiche erhält also am 13. Juni 1919 die Identität Rosa Luxemburgs und wird noch am selben Tag, begleitet von einem gewaltigen Trauerzug von Berlin-Friedrichshain zum Friedhof in Berlin-Friedrichsfelde, zu Grabe getragen, obwohl dies aufgrund der rechtsmedizinischen Befunde ganz klar widerlegt ist.
    Das Nachtragsgutachten vom 13. Juni wird im Verlauf noch abenteuerlicher, insbesondere, was die Interpretation der am 3. Juni bei der Obduktion erhobenen Befunde anbelangt: Die Fraktur der Schädelbasis wird nun auf einen Schussdefekt zurückgeführt (obwohl ausweislich des Obduktionsprotokolls vom 3. Juni 1919 Schädeldach und harte Hirnhaut unverletzt waren, was im Fall eines Schussdefektes des knöchernen Schädeldaches unmöglich ist). Eine bei der Obduktion am 3. Juni im Bereich der linken Schläfe festgestellte »undeutliche, rundliche Öffnung in der Haut, etwa 7 mm im Durchmesser«, wird nun, zehn Tage später, zum mutmaßlichen Einschuss deklariert. Würde es sich bei dieser Verletzung in der linken Schläfe (die auf den Fotos der damals obduzierten Leiche übrigens nicht zu sehen ist) tatsächlich um einen Einschuss handeln, hätte man entweder einen Ausschuss, also eine Verletzung verursacht durch den Austritt des Projektils, feststellen müssen (was nicht der Fall war), oder die Kugel hätte noch im Kopf stecken müssen (doch davon steht nichts im Protokoll). Dass die Obduzenten dieses wichtige Detail vergessen haben könnten zu erwähnen, darf man getrost ausschließen; zu oft und zu eindrücklich hatten sich Strassmann und Fraenckel damals als herausragende und für ihre Gründlichkeit bekannte Fachleute erwiesen.
    Zur Hautveränderung vor dem linken Ohr heißt es: »Die Untersuchung des Hautstückes mit der vermutlichen Einschussöffnung hat Pulvereinsprengungen oder Auflagerungen nicht ergeben. Bei der Zerstörung der obersten Hautschichten und bei der gewöhnlich nicht so erheblichen Pulvereinsprengung und Auflagerung, wenn mit rauchschwachem Pulver geschossen wird, wie es hier der Fall war, kann man trotzdem nicht erklären, dass es sich nicht um eine Schusswunde handelt (…). Auffallend ist allerdings, dass die Haare um die genannte Hautöffnung unversehrt erschienen, keine Spuren von Splitterung erkennen ließen, wie man sie bei Schüssen aus großer Nähe erwarten würde.« Unterm Strich bedeutet das: keine Hinweise auf eine tatsächliche Schussverletzung. Interessanterweise fanden sich bei Karl Liebknecht, der (per Kopfschuss von hinten) mit einer Armeepistole desselben Typs erschossen worden war wie Rosa Luxemburg und ebenfalls von Strassmann obduziert wurde, die Folgen einer erheblichen Sprengwirkung am Schädel: »Es finden sich eine Reihe von Sprüngen, die, von Einschuss und Ausschuss ausgehend, ein mannigfach verzweigtes,zusammenhängendes System von Fissuren bilden.« , heißt es im Obduktionsprotokoll Liebknechts. Bei der als Rosa Luxemburg obduzierten Frau hat das in der linken Schläfe eingetretene Projektil lediglich zu einem »rinnenförmigen Defekt« der Schädelbasis geführt. Eine Sprengwirkung wie bei Liebknecht konnte an ihrem Schädel nicht festgestellt werden.
    Kurioserweise versuchen die beiden Rechtsmediziner nicht nur, die Schädelbasisverletzung der Toten mit einem Schuss, sondern ein paar Seiten weiter dann mit Gewehrkolbenhieben zu erklären, um ihre
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