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Dem Himmel entgegen

Dem Himmel entgegen

Titel: Dem Himmel entgegen
Autoren: Mary Monroe
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war ein kluger und geduldiger Lehrer, der seinen Enkel in die Kunst einführte, die kleinen Merkmale zu sehen und zu deuten – die Form und Neigung der Schwingen, die Geschwindigkeit der Flügelschläge –, und er lehrte ihn, seiner Intuition zu vertrauen, zu betrachten, wie das Tier sich in der Luft bewegte, bevor er es benannte. Als Harris zwölf war, starb sein Großvater, aber der Junge hatte gelernt, mit Bestimmtheit einen Raubvogel von weitem zu erkennen und zu benennen.
    Harris wurde in den frühen 1960er Jahren geboren. Umweltschutz wurde in dieser Generation groß geschrieben – die Menschen sahen die Zerstörung, die z. B. DDT in der Umwelt angerichtet hatte. Schon seit seiner Kindheit hatte er mitgeholfen, Raubvögel vor dem Aussterben zu bewahren. Um die Zahl der selten gewordenen Vögel wieder so ansteigen zu lassen, dass sie den Himmel bevölkerten wie zu Zeiten seines Großvaters, hatten sie noch viel Arbeit vor sich, aber wenigstens waren sie auf dem richtigen Weg. Jedes Mal, wenn Harris ein Tier retten und in die Freiheit entlassen konnte, war er von einem Gefühl tiefer Hoffnung erfüllt.
    “Harris!”
    Widerstrebend wendete er seine Blicke vom Himmel und sah ein junges, dunkelhäutiges Mädchen, in sauberen, frischen Jeans und einem dicken Fleecepulli, das über die offene Ebene zu ihm herüberlief. Harris winkte ihr zu, um zu zeigen, dass er sie bemerkt hatte, und warf einen letzten Blick in den Himmel. Der Bussard war schon lange fort. Von den Rändern der Wiese zog Nebel auf.
    “Mr. Henderson?” rief das Mädchen erneut, atemlos, weil sie so gerannt war. “Ich soll Ihnen sagen, dass Sherry dringend Ihre Hilfe in der Klinik braucht. Jemand hat einen angeschossenen Vogel gebracht.”
    Harris stieß einen unterdrückten Fluch aus.
    “Ich nehme das hier”, sagte Maggie und bückte sich nach der Ausrüstung. “Solltest du nicht eigentlich mit Marion Weihnachtsgeschenke kaufen gehen? Die Kleine spricht seit Tagen von nichts anderem mehr.”
    Er nickte und half, die Ausrüstung zusammenzusuchen. Seine fünfjährige Tochter hatte ihn schon im Morgengrauen geweckt, fertig angezogen mit ihrer besten Hose und ihrem besten Pullover, das Haar mit einem rosafarbenen Plastikband zurückgebunden. Sie war so aufgeregt wegen des gemeinsamen Ferienausfluges, dass sie ihren Toast kaum anrührte und stattdessen einige Gläser Orangensaft trank – mit dem Erfolg, dass sie alle paar Minuten zur Toilette laufen musste. Während er sich auf den Weg nach Hause machte, musste Harris beim Gedanken an seine Kleine schmunzeln. Er hatte sie gefragt, ob sie ein Loch in der Leitung hätte. Das Letzte was er sah, bevor er das Haus verlassen hatte, war Marions trauriger Blick, mit dem sie ihm aus dem Fenster hinterher schaute. Harris hatte ihr zugewunken und gerufen, dass er bald wieder da sein würde, aber sie hatte nicht einmal gelächelt. Er musste den Bussard frei lassen, aber der Gedanke an sein kleines Mädchen versetzte ihm noch immer einen Stich.
    “Du hast bis jetzt kein einziges Geschenk für das Kind besorgt, habe ich Recht?” fragte Maggie in die Stille hinein. Gerade liefen sie über die Wiese zum Truck, und sie musterte ihn fragend. Als er nicht antwortete, sagte sie: “Meine Güte, Harris. Hast du wenigstens schon einen Weihnachtsbaum?”
    “Sicher. Der Baum steht, und die Lichter sind auch dran, du musst dir also keine Sorgen machen, Mutter Maggie”, sagte er mit einem verschmitzten Grinsen und bemerkte erleichtert, wie sich ihre Züge langsam wieder entspannten. Wenn Maggie erst einmal in Fahrt war, konnte sie so schnell nichts stoppen. “Marion und ich bummeln jeden Heiligabend durch die Stadt, nur wir beide, und sie darf sich etwas Besonderes aussuchen. Das ist sozusagen unsere Tradition.”
    “Tradition?” Maggie sah ihn ungläubig an. “Ach, Henderson, mir kannst du nichts vormachen. Ich kenne dich schon zu lange. Du bist ein Einsiedler, der seinen Wald nicht verlassen würde, wenn er nicht müsste, und diese so genannte Tradition ist deine Entschuldigung dafür, die Weihnachtsbesorgungen auf den letzten Drücker zu machen, damit du nicht öfter als unbedingt nötig in die Stadt musst.” Sie war fast so groß wie Harris, und in ihren grünen Augen, mit denen sie fest in seine blickte, flammte ihr Temperament auf. “Keine Ausflüchte mehr heute! Du überlässt den Vogel mir und gehst jetzt nach Hause zu deiner Tochter, um ihr ein schönes Weihnachten zu bescheren.”
    Harris grinste und
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