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Dem Himmel entgegen

Dem Himmel entgegen

Titel: Dem Himmel entgegen
Autoren: Mary Monroe
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Hören Sie mir genau zu. Ich werde mich jetzt dem Vogel nähern und seine Beine mit den Handschuhen umfassen. Wenn ich ›loslassen‹ sage, dann lassen Sie los und entfernen sich so schnell wie möglich. Haben Sie verstanden?”
    “Denken Sie, Santee würde mich verletzen?” fragte der Mann. Er schüttelte ganz leicht den Kopf. “Nein, sie würde mir nie etwas tun. Sie kennt mich.”
    “Sie
kennt
Sie?”
    Er nickte ernst. “Ich habe ihr den Namen gegeben. Sie kam zu mir, als jemand sie vom Himmel geschossen hat. Ich habe sie gesucht und gefunden – sie lag auf dem Boden. Lebend, Gott sei Dank! Von Ihnen habe ich schon gehört. Wie Sie den Vögeln helfen. Zum Glück ist das Center in der Nähe, und ich konnte gleich herkommen.”
    “Sie haben den Vogel hier zu Fuß hergebracht?”
    “Ich bin die große Straße heraufgekommen.”
    “Wie weit sind Sie gelaufen?”
    “Nicht so weit. Den Weg hinunter, vielleicht ein paar Meilen. Aber es hat länger gedauert, weil ich durch den Sumpf gehen musste.”
    Harris musste fast auflachen, die Geschichte klang zu absurd. “Wie lange haben Sie den Adler bis hierher getragen?”
    “Seit Sonnenaufgang bin ich unterwegs.”
    Mittlerweile war es fast neun Uhr. Das bedeutete, dass der Adler seit einigen Stunden verletzt war. Harris sah den Vogel an. Das Tier erwiderte seinen Blick, nicht lethargisch oder mit hängendem Kopf, wie man es von einem Vogel unter Schock vermuten würde, sondern mit beunruhigender Gelassenheit. Nur der Schock konnte diese Regungslosigkeit erklären – und der Schock konnte tödlich sein. Harris musste handeln, wenn er das Leben des Tieres retten wollte. Er warf einen besorgten Blick auf Sherry, die sich ein neues Paar langer Lederhandschuhe angezogen hatte. Sie wartete, bereit, zuzugreifen.
    “Der Vogel steht unter Schock”, erklärte er ihr.
    “Das habe ich mir schon gedacht. Ein Tuch und die Beruhigungsspritze liegen bereit.”
    Harris holte tief Luft, um die Beklemmung, die er in seiner Brust spürte, loszuwerden. Sein Blick begegnete dem des alten Mannes. Der schien keine Angst zu haben. “Okay. Sind Sie so weit?”
    “Ja.”
    Mit langsamen, bedachten Bewegungen legte Harris seine Hände, die sicher in den Schutzhandschuhen steckten, um die Beine des Adlers. “Ich habe sie. Lassen Sie los.”
    Als der alte Mann seine Hände wegnahm, zog der Vogel seine Krallen zurück und wand sich in Harris’ Griff. Schnell packte Harris den Körper und die Flügel und hob den Adler aus den Armen des Mannes. Obwohl der Schuss die Flügel verletzt hatte, war das Tier noch erstaunlich kräftig und versuchte, seine Beine zu beugen, um sich während der Übergabe zu befreien. Aber Harris war erfahren und hatte die Situation schnell unter Kontrolle.
    Zwar hatte sich der Adler beruhigt, aber sein Atem ging jetzt schwerer, und er schnappte nach Luft. Sherry trat vor, um ein leichtes Tuch um den Kopf des Tieres zu legen.
    “Warum machen Sie das?” fragte der alte Mann.
    “Das hilft, sich zu beruhigen”, erwiderte sie.
    “Sie haben wirklich Glück gehabt”, sagte Harris und atmete erleichtert auf. “Wenn dieser Vogel nicht unter Schock gestanden hätte, wären Sie jetzt wahrscheinlich auch im Krankenhaus. Vergessen Sie niemals, dass es wilde Geschöpfe sind. Machen Sie nicht den Fehler, ihnen zu vertrauen.”
    “Vertrauen ist nie ein Fehler”, sagte der Mann.
    Er blickte Harris genauso ruhig und fest an, wie es der verletzte Adler getan hatte. Harris drehte sich unvermittelt um und wandte sich an die beiden Frauen, die neben ihm standen. “Könnt ihr bitte die Aufnahmeformalitäten mit dem Herrn regeln?”
    “Schon dabei”, antwortete Maggie und machte einen Schritt nach vorne.
    Harris widmete sich nun wieder dem Mann. “Wir danken Ihnen, dass Sie den Adler zu uns gebracht haben. Ich werde ihn in den OP bringen. Sie können Ihren Namen und Ihre Telefonnummer bei Maggie hinterlassen, und wir informieren Sie, wenn wir wissen, was los ist. Danke nochmals für Ihre Mühen.” Er ging zum Behandlungszimmer und ließ ihn zurück.
    “Ich warte hier.”
    “Wir haben kein Wartezimmer”, erwiderte Maggie freundlich. “Machen Sie sich keine Sorgen, ich rufe Sie gleich nach der Operation an. Es kann Stunden dauern.”
    “Das macht nichts. Ich werde einfach draußen warten.”
    Maggie schaute fragend zu Harris. In seinen Augen flackerte Verärgerung auf, aber er hatte keine Zeit, um sich mit dem Mann auseinander zu setzen. “Er kann in meinem Büro
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