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Dem Himmel entgegen

Dem Himmel entgegen

Titel: Dem Himmel entgegen
Autoren: Mary Monroe
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gestohlen werden, was ihnen gar nicht gehörte? Im Übrigen interessierte es ihn nicht, wer das Land besaß – er wollte nur so schnell wie möglich so weit wie möglich weg aus dieser Hölle auf Erden.
    Tief befriedigt drehte sein Vater sich um und betrat bestimmt das verbotene Gelände. “Komm schon”, rief er über die Schulter. “Trödel nicht rum.”
    Der Wald lag noch in dunklem Schweigen an diesem nasskalten, frühen Morgen. Wenn Brady über die gefrorenen Blätter stapfte, entstand ein Geräusch, das in der Stille des Waldes laut und gefährlich klang. Unzählige Terpentinkiefern wuchsen hoch in den Himmel und standen so eng beieinander, dass man sich leicht verirren konnte, wenn man den Weg nicht kannte. Brady hatte schon immer die Sumpfkiefern bevorzugt, deren lange Nadeln sich im Wind bogen. Sie hatten etwas Majestätisches an sich, wie sie in den Himmel ragten, mit einem mächtigen Stamm und kerzengerade – die Herrscher des Kiefernwaldes. Er liebte sie, auch wenn sein Vater sie hasste. Für ihn waren sie bloß Unkraut, denn ihre Rinde brannte kaum, und sie gaben schlechtes Feuerholz ab. Brady hatte Geschichten aus einer Zeit gehört, als die riesigen Sumpfkiefern das Bild der Wälder prägten. Das war lange bevor die Kettensägen ihr zerstörerisches Werk verrichtet hatten. Dieses Bild hätte Brady gerne gesehen.
    Während sein Vater und er sich zwischen den dicht gedrängten Baumstämmen bewegten, sah Brady, wie das Licht der aufgehenden Sonne durch die Blätter brach und dabei den Frost wie Diamanten funkeln ließ. In den dichten Zweigen über seinem Kopf hörte er Eichhörnchen fiepen und etwas weiter entfernt einen Kokardenspecht gegen einen Baumstamm trommeln.
    “Jetzt schleich schon nicht so! Wenn du dir nicht die ganze Nacht mit deinen nichtsnutzigen Freunden um die Ohren geschlagen hättest, wärst du jetzt auch nicht so kaputt. Hat lange gedauert, bis du endlich aufgestanden bist. Dabei habe ich dir doch gesagt, dass wir heute Morgen jagen gehen.”
    Brady spuckte aus, um den säuerlichen Geschmack seines kargen Frühstücks loszuwerden, das aus trockenen Biskuits bestanden hatte. Er versuchte, mit dem massigen, breitschultrigen Mann in der Tarnjacke Schritt zu halten. Wenigstens ist das für längere Zeit das Letzte, was ich von dem Alten hören werde, dachte er. Denn um die Tiere nicht zu verschrecken, würde er ihm von hier an nur noch zuflüstern, was zu tun war, oder aber ihn anstoßen.
    Roy Simmons fragte seinen Sohn nie, was ein guter Platz zum Jagen wäre oder welches Wild er gerne jagen würde. Brady fühlte sich eher wie ein Lakai neben dem talentierten Jäger, der besser als die meisten anderen wusste, wo es Hasen gab, ergiebige Austernbänke oder wo man am besten Vögel aufscheuchen konnte. Und danach suchten sie auch an diesem Morgen. Vielleicht fanden sie einen Fasan oder sogar Wachteln … sie brauchten etwas Besonderes für das Weihnachtsessen am nächsten Tag.
    Fast alles, was sie aßen, hatte ihr Vater gejagt oder gefischt. Die siebenköpfige Familie lebte größtenteils von der Hand in den Mund und versorgte sich selbst. Seine Mutter gab sich viel Mühe, um aus allem, was sein Vater mitbrachte, ein schmackhaftes Gericht zu zaubern, aber der schien nie zufrieden zu sein. Und seit das umliegende Land zum staatlichen Naturschutzgebiet erklärt worden war, war es schwieriger geworden. Mehr und mehr Menschen jagten das immer weniger werdende Wild. Roy Simmons musste länger und vor allem geschickter jagen, und doch war die Ausbeute meist gering. Seine stets hungrigen Kinder litten darunter.
    Eigentlich ging Roy Simmons lieber allein auf die Jagd, aber seit vor ein paar Tagen die Schulferien begonnen hatten, nahm er seinen ältesten Sohn Brady mit auf seine morgendlichen Ausflüge. Meist jedoch kamen sie mit leeren Händen heim. Jeden Tag erlebte Brady, wie sich die Verzweiflung seines Vaters in Zorn wandelte. Er folgte dem stampfenden, schweren Schritt seines Vaters und hoffte nur, dass dieser seine Wut nicht an ihm auslassen würde.
    Mehr als eine Stunde hatten sich Brady und sein Vater durch den Marion National Forest geschlagen, ohne auch nur ein Tier zu erlegen. Mittlerweile waren sie einige Meilen von dem heruntergekommenen Haus und der Scheune, die seine Familie ihr Zuhause nannte, entfernt. Das Stückchen Land, auf dem die Simmons wohnten, war vor langer Zeit dem Urgroßvater geschenkt worden. Damals lag es zu abgelegen, um von Wert zu sein. Doch inzwischen dehnten
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