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Dem eigenen Leben auf der Spur

Dem eigenen Leben auf der Spur

Titel: Dem eigenen Leben auf der Spur
Autoren: Felix Bernhard
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dieser Reise vorgenommen habe.
    Ich möchte die Natur aufsaugen, ich möchte mich spüren. Einige Dinge müssen sich während der Wanderung auch allmählich erst in meinem Kopf frei rütteln, und das passiert mit Sicherheit nicht auf viel befahrenen Straßen. Die Natur ist leise und zart und daher in Harmonie mit meiner inneren Stimme.
    Bereits an diesem ersten Tag habe ich diese Übereinstimmung spüren können, oder richtiger: Ich habe sie geahnt, auch wenn der Tag als ganzer nicht so gut war. Ich bin viel zu schnell an meine Kraftreserven gekommen. Aber morgen ist ein neuer Tag!
     
    Der Wecker meiner holländischen Zimmergenossen klingelt gnadenlos um 6.30 Uhr, trotz des Sonntagmorgens, und sofort beginnen alle leise miteinander zu tuscheln. Unfreiwillig lausche ich dem Treiben, noch ganz erschlagen vom gestrigen Tag. Für die Pilger hat der Tag bereits begonnen, obwohl draußen noch tiefe Nacht herrscht.
    Um mich herum raschelt es laut. Alles, was im Rucksack auch bei Regen trocken bleiben soll, wird sorgfältig in Plastiktüten eingewickelt.
    Weiterschlafen ist unmöglich, der Raum ist mittlerweile vollständig von den Deckenlampen erleuchtet. Mein kurzes »ist schon okay« wurde offensichtlich als Aufforderung zur Festtagsbeleuchtung verstanden.
    Ich schaue mir meine Hände an. Die Rechte sieht aus, als ob ich den Keller eines Einfamilienhauses mit einer Schaufel ausgehoben hätte. So hatte ich mir das eigentlich nicht vorgestellt, jedenfalls nicht gleich innerhalb der ersten vierundzwanzig Stunden. Mir fällt ein, dass ich kein strapazierfähiges Pflaster dabei habe, also pinkle ich später, um eine Infektion zu verhindern, in die Handschuhe — der Zweck heiligt bekanntlich die Mittel. Immerhin von der Bundeswehr erprobt und für gut befunden! Die Frische dieses Morgens tut mir gut, und ich ertappe mich dabei, wie ich schon damit beginne, den Auftakt meiner Reise zu glorifizieren. Die Strecke hat kleine Steigungen und Abfahrten, die ich mit ausgebreiteten Armen hinunterrase, während ich »I believe I can fly« singe. Schön, wenn keiner einen kennt.
    Mit der aufsteigenden Sonne erhitzt sich der Asphalt wieder, aus den Hügeln werden Berge und ich kämpfe immer stiller und verbissener gegen sie an. Rita und Heinz überholen mich, die radelnden Pilger starten viel später als die Fußgänger und sind trotzdem früher am Ziel. Sie bieten mir an, mich per SMS vor schlechten Strecken zu warnen, damit der Jakobsweg für mich nicht zur Sackgasse wird.
     
    Ich genieße die weite Landschaft, es gibt nichts, was mich in dieser Meditation stört. Die karge, sonnenverbrannte Gegend reduziert sich in meiner Wahrnehmung zur monotonen Kulisse und mir fällt ein, dass heute in Deutschland ein neuer Bundestag gewählt wird.
    Sofort schüttle ich diese Gedanken wieder ab, schließlich möchte ich hier andere, tiefere Themen ausloten und Antworten auf Fragen, die mir auf der Haut brennen, suchen. Was ist meine mir bestimmte Aufgabe im Leben, warum halte ich es so lange in einem Arbeitsumfeld aus, in dem ich so wenig Anerkennung erhalte, warum musste ich mich schon wieder von meiner Freundin trennen, was habe ich auf den bisherigen zwei Wanderungen auf Jakobswegen gefunden?
     
    Mir fällt mein Traum von letzter Nacht ein. Mein Chef erklärt mir, dass ich ohne Rollstuhl schon viel besser ankomme, und fügt augenzwinkernd hinzu, im Bankgeschäft drehe sich schließlich viel ums Aussehen.
    Ich kann nicht aufhören, an die Arbeit zu denken, ich fühle mich ihr so schutzlos ausgeliefert, wie ich es hier, allerdings gegenüber der Sonne, auch tatsächlich bin.
    »Das klingt ja wirklich spannend, was du so machst.« Ich äffe nach, was ich oft zu hören bekomme, wenn ich von meiner Arbeit erzähle. Dabei spreche ich ungern über sie. Man kann sich nur schlecht davon distanzieren, und hat man es doch einmal geschafft, holen einen die Fragen bald wieder ein. Natürlich ist es auch im positiven Sinne aufregend: Kein Tag gleicht dem anderen, und auch nach vier Jahren kann ich nicht genau vorhersagen, was ich am nächsten Tag bearbeiten werde.
    Entsprechend weiß ich auch fast nie, wann ich Feierabend machen kann. Kaum einmal ist das schon um 19 Uhr, 20 Uhr und später ist die Regel, bei einem Arbeitsbeginn um 9 Uhr. »Da muss man sich nur ein bisschen reinknien, dann klappt das schon«, sagt mein Chef, wenn mal so eben eine 100-Seiten-Präsentation für den Vorstand übers Wochenende fertig werden soll. Also knien wir uns im Team am
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