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Dem eigenen Leben auf der Spur

Dem eigenen Leben auf der Spur

Titel: Dem eigenen Leben auf der Spur
Autoren: Felix Bernhard
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der Stuhl gar nicht konzipiert. Nach langer, mühseliger Anstrengung habe ich keine Kraft mehr, die friedlichen Gedanken sind längst verschwunden. Ich schreie meine Verzweiflung hinaus, ich hasse diesen Rollstuhl, der mich den Weg durch diese unberührte Stille nicht unbeeinträchtigt gehen lässt. Ich bin an meiner physischen Grenze angelangt.
    Als die Sonne fast untergegangen ist, erreiche ich ein Flussbett voller Geröll. Dass im Frühjahr hier vermutlich ein reißender Strom rauscht, kann man jetzt nur erahnen. Wäre die Situation eine andere, würde ich die in warmes Rot getauchte Landschaft lieben und tiefe Dankbarkeit empfinden, diese Schönheit in mich aufnehmen zu dürfen.
    Auch diese Stelle ist jedoch unpassierbar, und wieder muss ich aus dem Rollstuhl aussteigen, um ihn über felsige Hindernisse zu zerren. Ich gebe auf, vier Blasen an der rechten Hand, von denen eine bereits aufgeplatzt ist, und vor mir steigt der steinige Weg immer weiter an.
    Plötzlich tauchen auf dem Plateau am Ende des Wegs Menschen auf. Ich rufe so laut ich kann und winke um Hilfe.
    Zwei vierzehnjährige Jungen kommen den Hang herunter und schieben mich die letzten Meter auf das Plateau hinauf. Auf einmal bin ich von staunenden Kindern umringt. Sie fragen mich alles auf einmal, und ich antworte so gut es mein gebrochenes Spanisch zulässt. Noch nie haben sie hier einen Menschen im Rollstuhl gesehen, erst recht nicht im Dunkeln. Der Vater, ein gut aussehender Mann um die vierzig, kommt mit seinem Auto heran, und sein ältester Sohn reicht mir mit den Worten »hace mucho calor«, eine ganz schöne Hitze, eine riesige Wasserflasche.
    Obwohl es schon dämmert, ist es immer noch heiß. Wir laden den Rollstuhl in den Wagen, und der Vater erklärt mir auf der kurzen Fahrt, dass die Trasse ab dem Plateau noch schlechter würde.
    An der Pilgerherberge in Castilblanco angekommen, möchte er nichts für seine Hilfe annehmen. Er und sein Sohn laden den Rollstuhl wieder aus und wünschen mir liebevoll lächelnd eine gute Reise und suerte, Glück. Sollte ich diese Reise unbeschadet überstehen, dann nur aufgrund von viel Glück, da bin ich mir inzwischen ganz sicher.
     
     

Vorsätze
     
    Der Schlafsaal und das Bad befinden sich im ersten Stock und sind für mich nicht zu erreichen. Vier Pilger sind sofort zur Stelle und tragen mich die steile Treppe hinauf. Alle reden gleichzeitig und wollen noch weiter helfen, aber dieser erste Tag hat mich so mitgenommen, dass ich abwinke.
    Rita und Heinz haben das einzige Doppelzimmer mit Ehebett in der kostenlosen Herberge ergattert und laden mich zu sich auf die Terrasse ein. Bei Kerzenschein teilen sie mit mir ihren Vorrat an Brot, Wurst, Käse und Wein. Es tut wirklich gut, so umsorgt zu werden. Meinen eigenen Proviant, den ich lose unter meinem Rollstuhl verstaut hatte, hatte ich auf den letzten Kilometern des Wegs verloren, die Äpfel hatte ich da längst schon wütend weggeworfen.
    Die beiden können nicht glauben, mich hier zu sehen. Sie waren fest davon ausgegangen, dass ich umgedreht wäre und an einem anderen Ort übernachten würde. Sogar sie mussten auf der ausgewaschenen Strecke mehrfach von ihren Rädern absteigen und schieben.
    Rita stellt sehr gezielte und professionelle Fragen zu meiner Situation, ihr medizinischer Hintergrund als Krankengymnastin ist schnell deutlich. »Wie hoch bist du denn gelähmt?«, will sie wissen.
    »Ab dem fünften Brustwirbel«, antworte ich und beantworte auch gleich die nahe liegende und immer folgende Frage: »durch einen Motorradunfall.«
    Beide ermutigen mich, nicht ans Aufgeben zu denken und im Zweifelsfall Alternativrouten zu suchen, selbst wenn das ab und zu bedeuten sollte, auf der Straße zu bleiben.
    Während ich noch zustimmend nicke, habe ich bereits beschlossen, mich nicht an ihren Rat zu halten. Ich mag Straßen nicht, es sei denn, sie sind wirklich unbefahren. Autos sind laut, und ich bin ihnen unterlegen. Wenn ich mich auf Asphalt fortbewege, fokussiere ich mich auf das Ziel, und nicht auf den Weg dorthin. Das dazwischen Liegende erscheint mir nur lästig, sodass ich es so zügig wie möglich überbrücken möchte.
    So soll meine Wanderung hier auf keinen Fall aussehen. Der Weg soll das Ziel sein, gerade die lästigen Schritte sind die mit dem größten Lernpotenzial, in diesen Momenten offenbart sich für mich auch der Sinn eines auf Gott fokussierten Lebens. Auf eine Straße auszuweichen würde daher nahezu allem widersprechen, was ich mir mit
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