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Dem eigenen Leben auf der Spur

Dem eigenen Leben auf der Spur

Titel: Dem eigenen Leben auf der Spur
Autoren: Felix Bernhard
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Wochenende in dieses Projekt mit Priorität 1++* rein, normale Projekte haben Priorität 1++, mit weniger wichtigen Projekten beschäftigen wir uns grundsätzlich nicht.

    Das freundliche SMS-Warnsystem
     
    Damit ist jetzt Schluss. Nachdem ich in der Abteilung für Konzernentwicklung einige Jahre an strategischen Unternehmenskäufen und — Verkäufen gearbeitet, Vorlagen und Präsentationen für Vorstände und Aufsichtsräte geschrieben und Dienstreisen nach New York, London, Budapest, Moskau und sonst wohin unternommen habe, will ich zukünftig lieber für diejenigen arbeiten, die im Kernpunkt des Interesses stehen: die Kunden. In der Fachabteilung für betriebliche Altersvorsorge (Asset Management) hoffe ich, bald wieder auf dem Boden der Realität zu stehen. Vielleicht wird mir der Glamour des Investmentbanking fehlen, wer weiß. Na und? Ich möchte mehr Freizeit haben. Ich möchte etwas Sinnvolles tun. Altersvorsorge ist sinnvoll.
     
    Dreißig Kilometer liegen hinter mir, die nächste Unterkunft befindet sich in einem zwölf Kilometer entfernten Nest. Es ist noch früh am Nachmittag, und ich könnte leicht weitermachen. Soll ich? Der Schock vom gestrigen Tag ist allerdings noch sehr präsent, also beschließe ich, lieber hier in Almadén de la Plata zu bleiben.
    Von einer Bushaltestelle aus überblicke ich die im Tal liegende Ortschaft mit ihren weißen einstöckigen Häusern im mediterranen Stil. Vor manchen Fenstern weht zum Trocknen aufgehängte Wäsche, um diese Uhrzeit ist kaum eine Menschenseele in den Gassen unterwegs. Irgendjemand hat seinen Fernseher zu laut aufgedreht, aber es scheint niemanden zu stören.
    Zu Hause gießt mein Nachbar in meiner Abwesenheit meine Blumen auf dem Balkon und leert den Briefkasten. Wahrscheinlich eher aus Langeweile schicke ich ihm eine SMS, was soll in zwei Tagen schon groß passiert sein? Das Handy lasse ich danach auf der kleinen Mauer vor der Haltestelle liegen, während ich mühelos die Straße hinabgleite.
    Auf der Wäscheleine vor der Pilgerherberge hängen BHs und Radlerhosen. Da alles ebenerdig ist, stolpere ich direkt in den Schlafsaal, wo zwei junge und sehr hübsche baskische Mädchen in den für diese Unterkünfte typischen Etagenbetten liegen.
    Gurutze und Ainitze sind Cousinen aus San Sebastian. Beide haben schon mehrfach längere Radtouren durch Spanien und Portugal gemacht, sie sind wie ich den Camino Francés entlang gepilgert. Während Gurutze still auf ihrem Bett liegt, redet Ainitze sehr laut und läuft pfeifend, breitbeinig und irgendwie maskulin durchs Haus. Ich ärgere mich, dass mein Spanisch so schlecht ist, gern hätte ich mich länger mit ihnen unterhalten, vielleicht rechne ich mir auch eine Chance aus. Obwohl wir uns sehr viel Mühe geben, schläft die Konversation irgendwann ein und ich gehe, um meine verschwitzten und staubigen Kleidungsstücke im Waschbecken auszuwaschen.
    Ein hünenhafter Tscheche kommt dazu, der mit seinen schweren Stiefeln, dem T-Shirt in Tarnfarbe und einem Zentner Marschgepäck wie ein Soldat im Manöver wirkt. Fünfzig Kilometer ist er heute gewandert und lächelt trotzdem unaufhörlich, während er in fließendem Spanisch mit den beiden Mädels flirtet.
    Später ziehen wir vier gemeinsam los und kaufen in einem kleinen Laden im Ort Lebensmittel und Getränke für unser Abendessen und für den nächsten Tag ein. Auf einmal merke ich, dass mein Handy verschwunden ist, und werde nervös. Keine der gespeicherten Nummern habe ich im Kopf, und ich selbst wäre wochenlang für niemanden mehr erreichbar. Außerdem ist es eingeschaltet.
    Hastig erkläre ich den Dreien die Situation und stürme zurück, Stoßgebete aussprechend, dass es noch dort liegen möge, wo ich es zuletzt in der Hand hatte. Einige Jugendliche kommen mir mit ihren Handys entgegen. Ob meins dabei ist? Mein Herz macht einen Sprung, von der Sonne aufgewärmt liegt es wie selbstverständlich noch auf dem Mäuerchen. Ich habe sogar eine SMS bekommen, mein Nachbar gab die Wahlergebnisse durch.
    Als ich mich umdrehe, sehe ich, wie Ludek, Ainitze und Gurutze ungefragt hinter mir hergegangen sind und mir beistehen wollen. Nach dem Adrenalinkick verbringen wir den Rest des Abends in der Küche der Herberge. So wünsche ich mir das Pilgern: tagsüber die Stille und Muße zur Reflexion, und abends das lachende Miteinander.
     
     

Warum ausgerechnet der Jakobsweg?
     
    Am nächsten Morgen breche ich kurz nach sieben Uhr bei völliger Dunkelheit unter klarem
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