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Dem eigenen Leben auf der Spur

Dem eigenen Leben auf der Spur

Titel: Dem eigenen Leben auf der Spur
Autoren: Felix Bernhard
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meinem Konto riefen mir diese Wochen in Erinnerung.
    Kurz nach diesem kleinen Ausflug in einer Spätsommernacht habe ich dann wie so viele »Auf dem Jakobsweg« von Paulo Coelho gelesen. Nachdem ich das Buch schon fast wieder vom Nachttisch geräumt hatte, um Weihnachten 2002 herum, fasste ich den Entschluss, eine erste Wanderung auf dem populären Camino Francés zu wagen, gemeinsam mit meiner Freundin Lydia. Damals waren wir gerade ein Paar geworden.
    Im August des darauf folgenden Jahres pilgerten wir in 24 Tagen auf dem Camino Francés von den französischen Pyrenäen aus nach Santiago, den Hauptweg aller klassischen Jakobswege. Ein Jahr später machte ich mich dann allein auf die Grande Route 65, 550 Kilometer durch Frankreich. Der französische Jakobsweg führt von Le-Puy-en-Velay, südlich von Lyon, nach St.-Jean-Pied-de-Port unmittelbar vor der spanischen Grenze. Während auf dem Camino Francés vor allem jüngere Menschen wandern, die meisten von ihnen aus aller Herren Länder kommend, bevölkern den GR 65 überwiegend Franzosen über 50 Jahre. Für sie steht das Naturerlebnis im Vordergrund, ein gutes Essen und gut ausgestattete Übernachtungshäuser gehören bei dieser Art, sich in der schönen Landschaft zu ergehen, natürlich fest dazu. Auf dem Camino Francés ist es dagegen eher das klassische Motiv des Pilgerns, das die meisten führt: die Suche nach Seelenheil, die Suche nach Gott.
    Heute weiß ich: Wenn einen erst einmal das Pilgern gepackt hat, fällt es schwer, davon loszukommen, deswegen machen sich so viele auch immer wieder auf den Weg.
     
     

Teilhaben, ein Geschenk
     
    Nach dem Ende der Rast in dem Städtchen, das für seine Zubereitung von Schweinefleisch mit grünen Linsen bekannt ist, befinde ich mich nach wenigen Metern wieder auf einer holprigen Piste in vollkommener Einsamkeit. Die mit Flüssigkeit gefüllten Blasen an meiner Hand schmatzen, als ich bei dem kleinen Anstieg etwas fester zugreife.
    Warum kommen die Anstiege eigentlich immer nach einer Pause, wenn man mit vollem Bauch nicht gerade auf Höchstleistungen Lust hat, wundere ich mich. Am liebsten hätte ich jetzt eine Brücke zwischen zwei Erhebungen vor mir.
    Wenn man zu viel Zeit hat, hängt man den schrulligsten Ideen nach. Man kann sie nicht einfach abschütteln, sie kehren immer wieder zurück, mögen sie auch noch so banal sein. Ich male mir eine wacklige Hängebrücke im südamerikanischen Urwald aus, mit schrillem Affengeschrei in tropischer Schwüle. Fahre ich vielleicht schon zu lange durch zu große Hitze, und meine Gedanken verwirren sich?
     

    Jakobsmuschel und Polizeiweste — gleich doppelt beschützt
     
    Anstatt auf eine Brücke zu, führt der Weg abwärts an einer Burgruine vorbei. Sie wurde hier an der Grenze zur Extremadura im 14. Jahrhundert zum Schutz der Pilger errichtet, ihr früherer Glanz ist längst erloschen. Heute steht sie verloren da, eingezäunt auf einer grünen Weidewiese.
    Die Extremadura ist so groß wie die Schweiz und die ärmste Region Spaniens. Eine Million Menschen leben hier, und fast alle ausschließlich von der Landwirtschaft. Trotz der hohen Temperaturen und der Trockenheit ist sie ein riesiges Getreide- und Weinanbaugebiet und verfügt über einen bemerkenswerten Wasserreichtum. Eine sich ins Unendliche erstreckende Hochebene, lediglich von ein paar Höhenzügen unterbrochen — wie für mich gemacht. Der harte, trockene Untergrund lässt die Räder fast wie von allein rollen.
    Vergessen ist die Zerreißprobe des ersten Tages, es ist warm und das noch zwanzig Kilometer entfernte Etappenziel habe ich in Gedanken schon so gut wie erreicht. Ich will nicht wahrhaben, wie das wellige Auf und Ab beschwerlicher wird und ich langsamer und langsamer vorankomme. Das Glücksgefühl von grenzenloser Freiheit und unbegrenzten Möglichkeiten ist zu stark. Im Rollstuhl auf dem Jakobsweg — na und?
    Die Räder versacken schon zehn Zentimeter tief im Sand, meine Handgelenke schmerzen unter der Anstrengung. Wie aus dem Nichts erscheint in dieser Einöde ein Bauarbeiter mit seinem Jeep und bietet mir an, mich mitzunehmen. Ich winke ab in der festen Überzeugung, dass es bald wieder besser gehen wird, und packe noch fester in die Greifreifen, um mich zentimeterweise voranzuschieben. Kopfschüttelnd fährt er weg. Bald überkommen mich starke Zweifel, ob die Entscheidung richtig war, laut Höhenprofil geht es bis Monesterio schließlich noch einige hundert Höhenmeter bergauf. Die Räder pflügen
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