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Dem eigenen Leben auf der Spur

Dem eigenen Leben auf der Spur

Titel: Dem eigenen Leben auf der Spur
Autoren: Felix Bernhard
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sich immer tiefer in den Sand, und ich wünsche mir den Bauarbeiter zurück. Auf diese Weise komme ich niemals an, nirgends.
    »Bezwinger des Jakobswegs« nannte mich ein Arbeitskollege einmal ironisch. Aber diesen Weg kann man ebenso wenig bezwingen wie sich selbst, man muss sich öffnen für die Lösungen, die sich anbieten, reine Ego-Attacken genügen als Brennstoff für über 1000 Kilometer nicht im Entferntesten.
    Ich habe Glück: Der Spanier kehrt zurück. Auf der kurzen Fahrt bis zur Landstraße überholen wir Ludek und bieten ihm die Mitfahrt an, aber er winkt ab: »Ich habe zwei gesunde Beine.«
    Von zwei Polizisten in ihrem Polizeiwagen bekomme ich auf der stark ansteigenden Nationalstraße im Anschluss sogar noch Geleit — und das Gefühl, ein Staatsgast zu sein. Ein vorbeifahrender Spanier lehnt sich aus dem Fenster und macht lachend Fotos von dem ungewöhnlichen Konvoi, bevor er weiterfährt. Schade, ich hätte gern einen Abzug gehabt.
    Zum Abschied schenken mir die Polizisten eine Polizeiweste mit dem Aufdruck Guardia Civil Traffico. Mit diesem offiziellen Kleidungsstück fühle ich mich sicherer, denn, so rede ich mir ein, die Spanier werden schließlich nicht ihre eigene Polizei umfahren. Außerdem bilde ich mir ein, dass der von den Autos eingehaltene Abstand dadurch etwas größer wird.
    Plötzlich steht der Fotograf doch noch vor mir und stellt sich als Reporter des lokalen Radiosenders vor. Er möchte ein kurzes Interview mit mir machen. Im Tausch dafür verspricht er, mir die Fotos per E-Mail zu senden.
    Das Teilhaben wollen von außenstehenden Personen an dieser nicht alltäglichen Reise baut mich wieder auf. Auf diese Weise kann ich geben und fühle mich dabei noch reich beschenkt.
    Im Quartier des Roten Kreuzes in Monesterio finde ich im Gästebuch eine Botschaft von Rita und Heinz. »Lieber Felix, Monesterio wurde via Landstraße erreicht. Die Landschaft ist herrlich und wir kommen sehr gut voran. Wir haben hier erst mal sauber gemacht, vielleicht kannst du es ja genießen.«
    Wie schön, diese fast mittelalterliche Form der Kommunikation, Nachrichten für Weggefährten an gemeinsamen Rastpunkten zu hinterlassen. Dieser kleine Austausch, und mehr noch die Tatsache, dass die beiden an mich gedacht haben, freut mich sehr.
     
    Während ich meine Kleidung inklusive neuer Polizeiweste im Waschbecken bearbeite, steht plötzlich eine Sinti neben mir und erschreckt mich fast zu Tode. »Tienes dinero?«, bettelt sie mich mit funkelnden Augen an. Ich bin mir nicht sicher, wer von uns beiden besser gekleidet ist und erkläre ihr, ich sei Pilger und könne ihr nur etwas von meinem Essen anbieten. Sie greift sich die hingehaltene Tüte mit Toastbrot und verschwindet so schnell, wie sie durch die unverschlossene Tür zu mir hereingekommen war. Ich bin froh, dass ich hier geblieben bin, statt Ludek zum Einkauf zu begleiten.
    Am Abend trinke ich allein eine Flasche Rotwein, was ich am nächsten Morgen heftig bereue. Ludek will bis Santiago gar keinen Alkohol trinken, er hat sich vorgenommen, sämtliche Eindrücke ungetrübt wahrzunehmen. Irgendetwas in mir scheint der bevorstehenden intensiven Zeit noch einmal entfliehen zu wollen...
     
    Die neuen Anstiege fallen mir nach einer nicht wirklich erholsamen Nacht ziemlich schwer. »Es un gato, puta gato«, riss mich Ludek aus dem Schlaf. Ich sah nur schemenhaft, wie etwas Schwarzes durchs Zimmer huschte und durch das offene Fenster in den Hof sprang. Danach konnte ich nicht mehr einschlafen. Ludek thronte über mir auf dem nebenan stehenden Etagenbett und rieb sich die Augen, während ich damit begann, wieder einmal meinen Rollstuhl zu bepacken.
    Ich hasse das Packen, zu viel Ausrüstung muss dabei in eine viel zu kleine Tasche gestopft werden, dabei wiegt die gesamte Ausrüstung gerade einmal neun Kilogramm. Jeder Gegenstand für die geplante Reise hatte bei mir zu Hause einzeln auf der Küchenwaage gelegen, mehr als elf Kilogramm wollte ich auf keinen Fall durch die Landschaft und die Berge hochschieben — inklusive Wasserflasche und Proviant wohlgemerkt. Leichte Funktionskleidung ersetzte die Jeans, das Regencape die Jacke, auch die Unterhaltungslektüre schaffte den Sprung über die Küchenwaage nicht. Das kleine deutsch-spanische Wörterbuch, der Wanderführer und das Moleskine-Notizbuch brachten schon 600 Gramm auf die Waage. Das Werkzeug und die Ersatzteile wogen richtig schwer, ich wollte bei den Spezialteilen kein Risiko eingehen und in der
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