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Als ein Blumenkohl noch zehn Pfennig kostete

Als ein Blumenkohl noch zehn Pfennig kostete

Titel: Als ein Blumenkohl noch zehn Pfennig kostete
Autoren: Claudia Duhonj-Gabersek
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Im Schnee wachsen keine Apfelsinen

    Weihnachten 1963 verbrachten wir, wie immer, bei Opa. Mutter und meine Tanten hatten die letzten drei Tage unermüdlich gebacken, gekocht, geputzt und gebohnert.
    Wir betraten die gute Stube, und meine Augen glänzten, als ich den herrlichen Tannenbaum sah.
    Opa las die Weihnachtsgeschichte und dann sangen wir alle Lieder der letzten zwei Jahrtausende.
    Endlich war es so weit. Bescherung. Mutter drückte mir, nein, nicht Päckchen, sondern Pakete in die Hand. Riesige, raschelnde Pakete; und als ich das erste ausgewickelt hatte, jauchzte ich vor Freude. Ich sah einen wunderschönen, blauen Anorak mit weißen Eiskristallen darauf, dann folgten ebensolche Skihosen.
    Fragend schaute ich in die Runde.
    „Morgen ganz früh fahren wir drei Wochen in den Skiurlaub nach Österreich“, hörte ich meine Tante Margot sagen. „Im Sommer fängt der Ernst des Lebens für dich an, dann ist Schluss mit lustig.“
    Als mir klar wurde, dass sie mich und nur mich meinte, fing ich an zu weinen. Aber nicht allein vor Freude. Ich kannte Tantes Hang zu kalten Duschen und Frühsport, ein Abgrund tat sich vor mir auf. Einundzwanzig Tage. So weit konnte ich mit fast sechs gerade noch zählen. Für mich war jetzt schon Schluss mit lustig.
    Stunden später, noch im Halbschlaf, saßen wir im Auto. Wir fuhren auf die Autobahn, und lange Zeit sprachen wir nicht. Die Tante summte eine Arie und fast schlief ich wieder ein.
    Da entdeckte ich das Schild.
    „Tante Margot, haben in Österreich alle Hunde sechs Beine?“
    Sie erklärte mir, wir seien noch nicht mal in München, und die Werbung mit dem sechsbeinigen Hund sei sowieso Unsinn. Doch bei jeder Tankstelle mit Hund leuchteten meine Augen. Schließlich wurde sie böse und boykottierte die letzte Tankstelle vor der Grenze. Wegen des Hundes. Wir blieben ohne Benzin stehen.
    Als wir in St. Martin ankamen, wollte ich nur noch schlafen und wieder heim. Stattdessen brachte mir die Tante das Rechts-links-Naseputzen bei, was ich schon seit Jahren konnte und zwang mich, heißen Kakao zu trinken.
    Gott, war mir elend. Ich wünschte mir einen sechsbeinigen Hund, schnell wie der Wind, auf dem ich davonreiten konnte und schlief endlich in dem riesigen Bauernbett ein.
    Wir wohnten bei zwei Witwen, Mutter und Tochter. Wenn ich mir ihre griesgrämigen Gesichter so ansah, hatte ich volles Verständnis, dass die Männer es frühzeitig vorgezogen hatten, das Zeitliche zu segnen. So lange die Tante in der Nähe war, waren sie nett zu mir, aber sonst behandelten sie mich grob. Ich sagte aber nichts.
    Das freundlichste Gesicht machten sie, wenn sie Tantes Geld rochen.
    Die Tante hatte Kinderski für mich besorgt. Als sie endlich angeschnallt waren, lag ich auch schon auf der Nase. Die Witwen lachten, und ich hasste sie dafür.
    Am dritten Tag freundete ich mich langsam mit den Kindern im Dorf an. Alle fuhren Ski, fast den ganzen Tag lang. Eine Wahl hatte ich kaum, ich musste es lernen. Nach einer Woche konnte ich schon den halben Hügel runterfahren. Dann überredeten mich die anderen, mit hochzusteigen und die ganze Abfahrt zu machen. Wir erklommen den Berg, ich raste wild den Abhang hinunter und pinkelte mir mächtig in die Hosen.
    Es war ein gefundenes Fressen für Tante Margot und die zwei Hexen.
    Einmal machten wir einen Ausflug mit dem Auto. Die Tante kaufte unterwegs Äpfel und Apfelsinen und ein großes Brot.
    „Heute fahren wir mit der Seilbahn, damit du die Welt von oben siehst und Gott ein Stück näher bist.“
    Und so war es dann auch. Ich war Gott sehr, sehr nahe. Jedes Mal wenn die Gondel an einem Pfeiler entlangruckte, warf ich mich auf den Boden. Schließlich stand ich gar nicht mehr auf.
    „Mach bloß nicht wieder in die Hosen!“ Zum Glück waren wir alleine in der Kabine.
    Es gefiel mir gut auf dem Berg.
    Die Tante hatte mir Orangen geschält und der kalte Saft tropfte auf mein Kinn. Ich spuckte die Kerne in den Schnee und vergrub sie ganz tief. „Nächstes Jahr, wenn wir wiederkommen, wachsen lauter Apfelsinenbäumchen hier.“
    Dafür nun hatte meine kinderlose Tante gar kein Verständnis. Ich musste eine Lehrstunde in Biologie über mich ergehen lassen. Von der darauffolgenden Abfahrt mit der Seilbahn träume ich bis heute.
    Braungebrannt und mit muskulösen Beinchen bepackt, lieferte die Tante mich nach drei Wochen bei Mutter ab.
    „Nun, wie war’s, mein Schatz, was hat dir am allerbesten gefallen?“
    „Der Hund mit den sechs Beinen.“
    Tante
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