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Dem eigenen Leben auf der Spur

Dem eigenen Leben auf der Spur

Titel: Dem eigenen Leben auf der Spur
Autoren: Felix Bernhard
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meinem Nachteil.
    Zu dieser Erkenntnis war es allerdings ein weiter Weg, inzwischen feiere ich aber sogar immer zwei Geburtstage, einen im Sommer und einen im Winter. Im Winter wurde ich tatsächlich geboren, und im Sommer geschah das Ereignis, das mein Leben so umgekrempelt hat.
    Ich plane diesen Tag nicht besonders, es rutscht mir im Gespräch manchmal heraus: »Übrigens, heute ist mein 13. Geburtstag.« Als Reaktion ernte ich dann entweder einen ungläubigen Blick, oder mein Gesprächspartner — was sehr häufig passiert — will einfach nur flüchten.
    Inzwischen weiß ich, dass meine Art, mit Behinderung umzugehen, nicht in das übliche Schema passt und mein diesbezüglicher schwarzer Humor eher als destruktiv missverstanden wird. Dabei ist es ziemlich einfach: Ich will mir nur die Freude am Leben erhalten. Schließlich hatte ich die nicht immer, ich musste mir das positive Denken in jahrelangem Training mühsam erst wieder aneignen.
    Doch es gibt noch einen anderen Aspekt meiner Reise. Es ist so etwas wie die Begleitmelodie meines Lebens seit diesem zweiten Geburtstag: mein Ringen mit mir selbst. Natürlich kämpfe ich längst nicht mehr blindwütig oder mit Zynismus gegen meine Situation an, ich habe gelernt, den Rollstuhl anzunehmen als Teil von mir für vielleicht den Rest meines Lebens. Aber wie kann ich trotzdem noch weiterkommen, wie kann ich eine noch größere Übereinstimmung mit mir selber finden?
    Ein Pilgerweg steht für Läuterung, und ein bisschen davon verspreche ich mir von der vor mir liegenden Strecke und Zeit. Ich weiß nicht, wohin mich die Reise führen wird, vielleicht bin ich deshalb so wild entschlossen, alles, was mir begegnen wird, mit allen Poren aufzusaugen und in einem übertragenen Sinn auf mich zu nehmen. Mit Humor, aber auch mit Wut. Mit Stärke, aber auch mit Verzweiflung, möglicherweise. Vielleicht kann ich dabei gelassener werden, das würde ich mir wünschen. Davon habe ich natürlich niemandem erzählt.
     
    An meinem ersten Morgen in Spanien werde ich gleich wieder nass. Die Wolkenfront hat zwölf Stunden länger als ich nach Barcelona gebraucht, aber ich bin entschlossen, optimistisch zu bleiben: Diesmal wird es mir gelingen, das schlechte Wetter zurückzulassen, und das gleich für viele Wochen.
    Als Erstes muss ich nach dem kurzen Flug nach Sevilla zu meinem Startpunkt am Rand der Stadt kommen. Es kommt mir gar nicht in den Sinn, ein Taxi zu nehmen. Zum Pilgern gehört Einfachheit und ich finde, diese fängt bei der Wahl des Verkehrsmittels an.
    Der Busfahrer und ein weiterer Fahrgast ziehen mich die Stufen des engen Einstiegs hoch. Ich setze mich auf die Sitzbank, mein Rollstuhl blockiert die Hintertür und den Durchgang zu den hinteren Sitzreihen. Vor mir sitzt eine ältere Dame. Jeder neue Fahrgast schlängelt sich an uns vorbei und lächelt der Dame dabei verständnisvoll zu.
    In Guillena, einem kleinen Örtchen direkt am Anfang der Vía de la Plata, steige ich aus. Die Sonne steht fast noch im Zenit, es weht ein heißer Wind. Hier will ich meine Pilgerwanderung beginnen. Historisch gesehen ist die Vía de la Plata ein bedeutsamer Weg zwischen der andalusischen Hauptstadt Sevilla und dem nordspanischen Astorga. Sie zieht sich über mehr als 700 Kilometer in Nord-Süd-Richtung durch die ehemalige römische Provinz Lusitania. Wörtlich übersetzt bedeutet der Name »Silberstraße«. Diese Namensgebung ist jedoch nicht römisch. Die Phönizier im ersten vorchristlichen Jahrtausend sollen den Handelsweg für den Transport von Gold und Zinn verwendet haben, aber eben nicht von Silber. Man vermutet, dass der Weg in vorrömischer Zeit von Schäfern und Jägern benutzt wurde, um den Sommer in der kühleren kastilischen Hochebene und den Winter in der Extremadura zu verbringen.
    Der Name »Vía de la Plata« entstand aus der maurischen Bezeichnung »Bal’latta«, was nichts anderes heißt als breiter gepflasterter Weg.
    Nach der Eroberung der Iberischen Halbinsel durch die Römer im 2. Jahrhundert pflasterten sie den gesamten Weg und verbreiterten ihn. Städte wie Hispalis (Sevilla), Emérita Augusta (Mérida), Helmantica (Salamanca) oder Caparra wurden gegründet. Dank dieser modernen Infrastruktur konnten die Soldaten schnell vorwärts kommen und gingen aus den Kriegen mit den Asturiern und Kantabriern siegreich hervor. Entlang des Wegs florierte der Handel, die Vía de la Plata war mitentscheidend für eine umfassende Romanisierung des heutigen Spanien und
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