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Dem eigenen Leben auf der Spur

Dem eigenen Leben auf der Spur

Titel: Dem eigenen Leben auf der Spur
Autoren: Felix Bernhard
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der Relikte aus der Römerzeit prägen prächtige mittelalterliche Kirchen, Herrenhäuser und Brücken die Pilgerroute. Der Weg nach Finisterre ist in drei überschaubare Abschnitte untergliedert, und am Ende eines jeden befindet sich eine Herberge.
    Auch für diesen kurzen Camino de Finisterre erhält der Reisende einen eigenen Pilgerausweis, denn der Jakobsweg ist in Santiago offiziell zu Ende. Hier kann man den so genannten Sternenweg noch ein Stück gehen. Der klassische Jakobsweg, der Camino Francés, verläuft genau unterhalb der Milchstraße, weshalb er auch Sternenweg genannt wird. Über Santiago hinaus führt der Camino de Finisterre diesen Weg bis an sein westliches Ende fort.
    In Negreira, der alten Hauptstadt der Region A Barcala und meinem ersten neuen Etappenziel, treffe ich fünfzehn weitere entspannte Pilger in der luxuriösen Unterkunft. Wie anders die Stimmung auf diesem neuen Weg ist! Wir kennen uns nicht, und doch verbindet uns eine Menge. Wir alle haben eine wochenlange Reise durch Hitze, Kälte, Regen, Sonne, hinter uns, bergauf, bergab, endlos geradeaus. Jeder von uns hat als Pilger auf diesem Weg etwas Besonderes erfahren, und das strahlt er jetzt aus. Zufriedenheit und ein gesundes Selbstbewusstsein.
    Wer heil in Santiago ankam, erlebt nun nach der Pflicht die Kür. Das Bild gefällt mir: das Erlebte auf dem Weg ans Ende der Welt ausklingen lassen...
     
    Niemand hat es an diesem Morgen besonders eilig. Es wird genug Betten für uns alle in Olveiroa geben, wir wissen, dass wir die nächsten Tage gemeinsam verbringen werden. Unsere gelegentlichen Treffen auf dem Weg und das abendliche Zusammensein genieße ich. Wie selten hatte ich solche Gemeinschaft auf den 1100 Kilometern davor, und wie sehr habe ich diese Seite des Pilgerns vermisst.
    Immer wieder erreiche ich Hochebenen, von denen ich eine spektakuläre Sicht über eine herbstliche Landschaft habe. Die Blätter beginnen sich zu verfärben und leuchten gelb. Die Luft schmeckt frisch, meine Poren saugen die Feuchtigkeit auf — wetten, dass ich um Jahre jünger aussehe?
    Von dem 550 Meter hohen Arro hat man einen wunderbare Rundsicht über das Land. Dummerweise erwische ich die falsche Straße nach unten, nach einer Stunde Fahrt »wie im Fluge« muss ich umkehren. Macht nichts, jetzt kann mich gar nichts mehr aus der Bahn werfen. Komme ich eben später in Olveiroa an.
    In Olveiroa schüttet es mal wieder aus allen Fugen. Eine alte Bauernsiedlung wurde zu einem Herbergsgelände umgestaltet, den Wanderern stehen einzelne kleine Landhäuser zur Verfügung. Beim gemeinsamen Abendessen sitzen wir diesmal besonders lange zusammen, keiner will bei den sturzbachartigen Regenfällen noch einmal vor die Tür gehen.
     

    Wer findet wessen Anblick exotischer?
     
     
    Ich bin der Letzte, der ins Bett geht. Totenstill liegen die Steinhäuser über das Gelände verstreut. Selten habe ich so tief geschlafen wie hier.
    In dem kleinen Örtchen Cee sehe ich zum ersten Mal den Atlantik. Es ist warm, die Möwen kreischen hier schon. Nur noch elf Kilometer bis Finisterre.
    Ich setze mich auf eine Bank in die Sonne und sauge die salzige Meeresluft ein. Dann widme ich mich, als ob es die banale Begleitmelodie meiner Wanderung wäre, einem Platten. Zweifellos mein schönster während der ganzen Zeit — und mein Letzter!
    Der weitere Weg führt fast ausschließlich am Wasser entlang. Ein steiler Anstieg bei Corcubión muss noch überwunden werden. Ein Auto hält vor mir auf dem Standstreifen, und ein junger Mann springt heraus. Ein Freund von Roberto, der mich unbedingt hier und jetzt mitnehmen will, denn er hat Roberto im Lokalsender über mich sprechen hören.
    »Wir können uns ja heute Abend in Robertos Bar treffen«, schlage ich ihm vor. Laut hupend verschwindet er. Die letzten Meter muss ich allein zurücklegen.
    In der Herberge herrscht viel Trubel, Robertos Bar ist gleich gegenüber. Aber erst einmal ankommen, erst einmal etwas Frisches anziehen, erst einmal gemeinsam kochen und essen. Alle sind vor Freude außer sich und zeigen sich gegenseitig immer wieder stolz ihre zweite Compostela, die neue Pilgerurkunde des Camino di Finisterre.
    Ich bin am Ziel der Reise. Nach 36 Tagen bin ich am Kap Finisterre.
    Allein laufe ich den drei Kilometer langen ansteigenden Weg aus dem Ort zum Kap hinaus. Hier sehe ich das letzte Mal die typische Wegmarkierung. Während der vergangenen Tage stand wie immer die Kilometerangabe bis zum Ziel darauf. Nun lese ich: 0,00
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