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Dem eigenen Leben auf der Spur

Dem eigenen Leben auf der Spur

Titel: Dem eigenen Leben auf der Spur
Autoren: Felix Bernhard
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der Hoffnung, vierblättrige Kleeblätter zu finden. Völlig unerwartet entdecke ich plötzlich Dutzende. Selig wie als kleiner Junge, der damals ständig vierblättrige Kleeblätter fand, pflücke ich sie und lege sie in meinen Wanderführer. Es ist kein Zufall, dass ich so viele finde, beschließe ich. Felix, der Glückliche.
    Wenn es ein inneres Kind gibt, so kann meines oft während der vier Wochen lustig sein und spielen. Nicht nur heute. Es konnte lachen und sich Dinge ausdenken, für die im normalen Arbeitsalltag kein Platz ist. Wie wäre es, die Kuh, die am Seeufer grast, ins Wasser hineinzuschubsen, um zu sehen, ob sie schwimmen kann?
    Die untergehende Sonne jeden Tag hautnah mitzuerleben, bereitet einen erfüllten Tagesabschluss vor. Die Luft wird kühler und das Gefühl kommt auf, jetzt nach Hause gehen zu wollen.
    Was selten möglich war unterwegs, ist nach Herzenslust einzukaufen. Hier ist es anders: ein riesiges Einkaufszentrum steht von weitem sichtbar in der Landschaft. Ein neuzeitliches Mekka. Gierig packe ich so viel Lebensmittel in eine Kiste, wie noch nie auf der gesamten Reise. Immer wieder muss ich Dinge weglegen, weil ich etwas anderes finde, natürlich einschließlich einem kleinen Biervorrat. Gewicht spielt jetzt überhaupt keine Rolle mehr, irgendwie muss alles in meinem Rucksack oder auf meinem Schoß Platz finden, um die letzte Übernachtung vor Santiago zu feiern. Wird es wirklich die letzte sein?
    Die denkmalgeschützte, vollständig renovierte Herberge in Laxe ist kalt und hat gewaltige Ausmaße. Hier könnte problemlos eine Hochzeitsfeier in gepflegtem Rahmen mit 500 Personen veranstaltet werden. Zweimal verlaufe ich mich auf meinem Weg zurück in mein Zimmer. Unnötig zu sagen, dass ich wieder allein bin. Zum wievielten Mal inzwischen?
    Ich liege schon im Bett, als ich Geräusche höre. Erschrocken fahre ich zusammen. Mein Bauch krampft und ich stelle mir vor, wie ich hier unbemerkt ermordet werde — als Pilger wenige Kilometer vor dem Ziel eiskalt niedergestreckt! Würde mich das nicht zu einem richtigen Märtyrer machen? Nachdem ich einmal schon in Santiago als Pilger angekommen bin, würde auf meinem Grabstein PILGER stehen.
    Ich steige aus dem Bett und treffe das Mitternachtspärchen, das vor zwei Tagen in Ourense an die Klostertür gehämmert hatte. Deborah kommt aus San Diego, und ihr 40-jähriger Begleiter irgendwo aus Spanien. Er behauptet, evangelisch und katholisch zugleich zu sein, irgendwie verebbt die merkwürdig undifferenzierte religiöse Unterhaltung bald. Deborah findet es cool, »to do the camino«. Meinetwegen, heute Nacht ist mir alles egal, wir rösten die Esskastanien, die ich unterwegs aufgelesen habe, und trinken den Rest meines Biervorrates.
    Als örtliche Besonderheit schließt hier die Feuerwehr die Herberge auf und zu. Wie gut, dass sie mich an diesem Morgen vergessen hat. Ein Lager am Vorderrad ist defekt, es blockiert und bremst den Stuhl.
    Eigenartig, so kurz vor dem Ziel noch eine letzte Reparatur durchzuführen, oder will etwa auch der Rollstuhl noch gar nicht ankommen? Na na, rede ich ihm zu, wir sind jetzt schon seit 2500 Kilometern auf irgendwelchen Jakobswegen in Deutschland, Frankreich und Spanien unterwegs, wer wird denn da jetzt klammern!
    Also noch einmal Herumschrauben, was mir ein echter Graus ist. Immer fällt irgendein Kleinteil auf den Boden und kullert zielgenau in den äußersten Winkel des Raumes. Das zwingt mich, im dreirädrigen Rollstuhl, das abmontierte Rad liegt neben mir, wacklig hinüberzufahren, um das Teil zu suchen. Diesmal ist es eine Unterlegscheibe, sie ist natürlich unters Bett gerollt. Mit einem Besen bekomme ich sie zu fassen. Das muss wohl noch einmal sein zum Schluss.
     

    Warum ich Galicien nicht mochte: Schlammige unausgebaute Pfade
     
    Anstatt zügig voranzuschreiten, trödele ich lustlos. Die Reise wird bald zu Ende sein, und irgendwie auch nicht. Was heute auch passiert, sage ich mir, du wirst in Santiago ankommen, und wenn du für die letzten Kilometer ein Taxi nimmst. Muss ich ja niemandem erzählen...
    Warum beschließe ich dreizehn Kilometer vor dem Ziel, einen unbekannten Umweg zu nehmen? Vordergründig, weil die Stunden an dieser lauten Straße ganz und gar nicht der ruhige Abschluss sind, wie ich ihn mir vorstelle. Ich möchte die letzten Kilometer in Ruhe in mich aufnehmen und mich darauf freuen, es bald geschafft zu haben. Oder suche ich unbewusst nach einem Trick, die Reise doch noch zu
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