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Dem eigenen Leben auf der Spur

Dem eigenen Leben auf der Spur

Titel: Dem eigenen Leben auf der Spur
Autoren: Felix Bernhard
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Gottes Hilfe. Immer gab es in Zeiten der Not einen Engel, der mir den hilfreichen kleinen Schub gab.
    Mit dieser Kraft und Zuversicht werde ich nach Frankfurt zurückkehren. Vor dreizehn Jahren habe ich mir vorgenommen, ein Leben zu führen, in dem der Rollstuhl mich nicht stoppt, sondern, im Gegenteil, eher weiterbringt, der für mich arbeitet und nicht gegen mich. Ich habe das Gefühl, nach langer Zeit und vielen Mühen inzwischen wirklich an diesem Punkt angekommen zu sein. Nach meiner Pilgererfahrung weiß ich, dass alles noch so unmöglich Erscheinende machbar ist und ein noch so entfernter Traum Realität werden kann.
    Der nächste Schritt ist Heilung auf allen Ebenen zu erfahren. Immer noch glaube ich fest daran, eines Tages aus diesem Stuhl aufzustehen und wieder gehen zu können. In diesem Punkt vertrete ich vollkommen die Meinung von Christopher Reeve, dem verstorbenen Darsteller des Superman, der fest daran glaubte, wieder allein auf seinen Beinen stehen zu können. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, und wenn ich es schaffe, werde ich still zu ihm sagen: »See, Chris, we knew it was possible!« Ich stelle mir vor, wie Rainman überall zu Fuß hinzulaufen und nie wieder einen fahrbaren Untersatz mit Rädern zu verwenden. Du lebst in München? Kein Problem, das sind von Frankfurt 350 Kilometer. In 10 Tagen bin ich da!
    Nicht dass sich dieses Leben nicht auch auf vier Rädern lohnt, es ist erfüllt und oft glücklich, aber es ist schwerer. Vielleicht habe ich es mir jetzt lange genug auch noch schwerer gemacht, als es notwendig gewesen wäre, und da die Nerven im Rückenmark kein Anzeichen geben, in nächster Zeit zusammenzuwachsen, fokussiere ich mich auf meine seelischen Baustellen und räume auf. Dazu war diese Wanderung das Richtige. Ich konnte mich von altem Groll lösen, alte Wunden heilen. Ich freue mich auf das Kommende.
    Ich bin in Aufbruchstimmung und habe mir eine Art Agenda von Punkten aufgestellt, die ich ändern möchte, Dinge, die ich erledigen möchte. Mental konnte ich die meisten davon schon auf dem Weg abhaken, nun geht es nur noch darum sie tatsächlich umzusetzen. Dank der intensiven Vorbereitung ist die Realisierung ein Kinderspiel.
     
    Mein Vater bleibt mein Vater. Er hat nie Stellung genommen zu meinem Verdacht, dafür hat er mir seine Liebe so gut er konnte gezeigt und war stets für mich da. Mit den Jahren stelle ich in zunehmendem Maße physische Gemeinsamkeiten fest, wir haben die gleiche Kopfform, die gleichen Geheimratsecken, und in der Sonne werde ich so schnell braun wie er. Vielleicht hatte der Laborassistent in Berlin damals einen schlechten Tag, vielleicht hat er einen Fehler gemacht. Oder ich habe die Wattestäbchen in meinem Furor irgendwie vertauscht? Ich brauche keine weitere Klarheit. Es ist gut so.
    Schon seit langem bewegen meine Brüder und ich uns in eine entgegengesetzte Richtung. Wenn aber zwei Menschen sich von einem beliebigen Punkt der Erde in die jeweils andere Richtung auf den Weg machen, treffen sie sich nach 20 000 Kilometern auf der anderen Seite des Globus wieder. Das ist meine Hoffnung. Es gibt immer eine Hoffnung.
    Ich durfte mit wunderbaren Frauen in langen Beziehungen zusammen sein, mit Frauen, die mich bedingungslos auch in meiner Situation als rolling man akzeptierten und liebten. Immer war ich derjenige, der sich trennte, mit der festen Überzeugung, eine Liebe könne kein ganzes Leben dauern. Ich war davon besessen, stärker werden, positive Veränderungen spüren und Unmögliches erreichen zu wollen. Mit meiner Überschallgeschwindigkeit kann vermutlich kein zweiter Mensch Schritt halten. Die Lektion meines Pilgerwegs aber ist klar, sie steht im Widerspruch zu meinem Verhalten: Eilen hilft nicht, entscheidend ist nur, rechtzeitig aufzubrechen.
    Bald werde ich Tag für Tag wieder zur Arbeit rollen, vier Kilometer ohne Motor bei jedem Wetter. Es wird mich an das Pilgern erinnern, und es werden vielleicht die glücklichsten 40 Minuten des Tages sein, morgens und abends, Zeit, den Tag zu beginnen und ihn abzuschließen. Leider werde ich mich dabei wieder an den heftigen Verkehr gewöhnen müssen. Wie leicht macht es uns doch die Natur.
    Der Jakobsweg lehrt mich noch etwas anderes. Mit vielleicht zehn Prozent meiner Zeit habe ich bei vollem Einsatz so viel erreichen können. Was wäre erst möglich, wenn ich mich einer Sache mit der gleichen Intensität, aber mit deutlich mehr Zeit verschreibe?
    Bei diesem Gedanken verspüre ich lediglich Angst, dass
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