Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dem eigenen Leben auf der Spur

Dem eigenen Leben auf der Spur

Titel: Dem eigenen Leben auf der Spur
Autoren: Felix Bernhard
Vom Netzwerk:
Portugal.
    Im Jahr 711 unterwarfen die afrikanischen Mauren die Iberische Halbinsel und nutzten den breiten Transportweg. Im Laufe der Zeit wurde aus Bal’latta Plata, mit dem vorangestellten Vía wird auf den römischen Ursprung hingewiesen.
    Die Vía de la Plata blieb über die Jahrhunderte eine wichtige Nord-Süd-Verbindung, bis unter König Philipp V. eine zentralistische Ausrichtung des vorhandenen Straßennetzes umgesetzt wurde. Die Bedeutung der Römerstraße nahm für viele Jahrhunderte ab. Für uns erweist sich diese Bedeutungslosigkeit als Vorteil: vieles blieb unverändert erhalten.
    Heute folgt die Nationalstraße N-630 und die in direkter Nähe neu gebaute Autobahn dem gleichen Streckenverlauf. Doch die Jakobusvereine haben dafür gesorgt, dass der Pilger den großen Straßen möglichst fern bleiben kann.
     
    Den ersten gelben Pfeil finde ich an einer Hauswand. Wochen später werde ich Don Blas treffen, den Mann, der diese charakteristischen Markierungen entlang des Jakobswegs gemalt hat. Als ob man als Pilger nicht schon genug zu tragen hätte, nahm er auch noch Farbeimer und Pinsel mit. Aber er ist nicht nur deshalb ein großer Mann.
    Ich bin auf dem richtigen Weg, und mehr noch: Ich bin auf dem Weg! Das Gefühl versetzt mich in Hochstimmung. Für diesen Moment habe ich mich in den zurückliegenden sechs Monaten fast jedes Wochenende im Hochtaunus, im Spessart oder im Odenwald die Berge hinaufgequält, ich wollte alles dafür tun, um hier topfit zu sein.
    Auf einem ansteigenden, sandigen Feldweg versinken die Räder schon nach kurzer Zeit tief. Ich überlege, ob ich das Kilo Äpfel, das ich mir in Sevilla gekauft habe, wegwerfen soll. Ich könnte die Anstiege dann viel leichter bewältigen, wie ein Heißluftballon, der Ballast abwirft. Andererseits würde mich wahrscheinlich schon bald der Hunger bremsen.
    Nach einer Stunde spüre ich, wie sich die erste Blase an der rechten Hand bildet. Dabei habe ich mir die Lederhandschuhe extra in einem Army-Shop besorgt; bleibt nur die Hoffnung, dass die US-Army sonst über eine bessere Ausrüstung verfügt und in ihren Shops lediglich der Ausschuss verhökert wird.
    Zwei Radfahrer überholen mich. Rita und Heinz stammen — wie sollte es auch anders sein — ebenfalls aus Deutschland und wollen die Vía de la Plata in zwei Wochen mit ihren Tourenrädern absolvieren. Rita hat die letzten Kilometer die parallelen Reifenspuren gesehen und sich gewundert, welche Radfahrer so gleichmäßig nebeneinander herfahren können.
    Die beiden bieten mir ihre Hilfe an, aber wenn mein Wanderführer nicht ganz falsch liegt, habe ich die Anhöhe fast erreicht. Langsam, aber stetig komme ich voran. Wir verabschieden uns bis zu unserem gemeinsamen Etappenziel, der Herberge in Castilblanco de los Arroyos.
    Schon die nächste Senke verschluckt die beiden, endlose Stille umhüllt mich. Ich höre das gleichmäßige Rauschen des Windes, der über den sandigen Boden fegt und immer etwas Staub mit sich trägt. Vereinzelt zirpen Grillen. Von dem monotonen Knirschen der Räder aufgeschreckt, fliegt ein kräftiger Vogel auf. Sein harter Flügelschlag klingt wie der Abschlag eines Fußballtorwarts. Er schwingt sich empor und verschwindet schnell in der Ferne.

    Der Schatten der Mittagssonne zeigt mir die Wegrichtung — immer nach Norden
     
    Ich fühle mich glücklich und frei, wie ein Kind, das nach einer Zeit langer Eingeschlossenheit endlich wieder draußen spielen kann und die frische Luft in der Lunge ganz neu schmeckt. Ich atme tief ein und aus und horche intensiv in die Natur hinein. Es gibt nichts, das mich ablenkt.
    Ich genieße die Stille, aber ich hätte die Reise gern auch in Begleitung angetreten. Meine Freunde und Verwandten zeigten mir allerdings alle einen Vogel. Allein die Vorstellung, über 1000 Kilometer zu Fuß zurückzulegen, noch dazu in Spanien! Das sei doch schon mit dem Auto eine Tortur, meinte ein Bekannter.
    Eine Freundin wäre fast mitgewandert, sie arbeitet als Bildtechnikerin fürs Fernsehen. Vielleicht könnten wir sogar eine gemeinsame Dokumentation drehen, hatten wir uns bei ein paar Probewanderungen überlegt, sie in der Rolle als Kamerafrau, Tontechnikerin und Produktionsleiterin, und ich als Hauptdarsteller und Regisseur. Leider verfügte sie als Freiberuflerin nicht über genügend Zeit und Geld. Und ein paar hundert Kilometer der Route zu überspringen, um im Film dann vorzeitig eine authentische Ankunft in Santiago de Compostela zeigen zu können,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher