Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Delphi sehen und sterben

Delphi sehen und sterben

Titel: Delphi sehen und sterben
Autoren: Lindsey Davis
Vom Netzwerk:
mittleren Sohn einer wohlhabenden Familie, einen aufrechten jungen Mann. Die Familie Tullius unterstützte den älteren Sohn bei der Wahl zum Senat. Für Statianus war nichts dergleichen vorgesehen. Daher hatten die Eltern dem Bräutigam und der Braut vielleicht zum Ausgleich eine lange Auslandsreise geschenkt.
    Valerias Verwandte aufzuspüren gelang mir nicht. Bisher gab es keinen Forumtratsch über diesen Fall. An die Tullii kam ich nur durch den anderen Sohn, der zur Wahl stand. Ein Schreiber in der Kurie ließ sich widerwillig bestechen, mir seine Adresse aufzuschreiben. Doch als ich sie dann aufsuchte, war mir Caesius zuvorgekommen. Er hatte meine Bitte missachtet und sich selbst an die Eltern des Bräutigams gewandt.
    Das war keine Hilfe. Er bildete sich ein, die Trauer würde ihm Zugang verschaffen, und die neuen Schwiegereltern würden, falls die Braut ebenfalls unter unnatürlichen Umständen gestorben war, seine Entrüstung teilen. Ich hätte ihm sagen können, wie unwahrscheinlich das war. Aber ich war seit fast zwei Jahrzehnten Ermittler und wusste, wie mies die Menschen sind.
    Trauer hebt die Moral nicht. Sie verschafft nur weitere Ausreden, den ethisch Höherstehenden die Tür vor der Nase zuzuknallen. Solchen wie Caesius Secundus. Solchen wie mir.
     
    Die Tullii wohnten an der Argiletum. Die hektische Durchgangsstraße nördlich der Kurie galt zwar als beste Adresse, hatte jedoch durch Krawalle und Diebstähle einen schlechten Ruf bekommen, und die privaten Haushalte dort hatten sicher unter Straßenschlägereien und nächtlichem Gebrüll zu leiden. Was uns verriet, dass die Familie entweder hochtrabende Vorstellungen hatte oder über geerbtes Geld verfügte, das zur Neige ging. So oder so täuschten sie über ihre Wichtigkeit hinweg.
    Die Mutter des Bräutigams hieß Tullia, Tullia Longina. Da sie den Familiennamen ihres Mannes trug, musste es sich um eine Ehe zwischen nahen Verwandten handeln, vermutlich aus Geldgründen. Sie erklärte sich bereit, uns zu empfangen, wenn auch widerstrebend. Klopft man unangekündigt an die Tür eines Privathauses, ist man stets im Nachteil. Ich konnte mir gewaltsam Zugang zu fast allen Häusern verschaffen, aber eine römische Matrone, Mutter von drei Kindern, erwartet traditionsgemäß weniger Grobheit. Verärgert man sie, wird man rasch von einem bulligen Sklaven rausgeworfen.
    »Mein Mann ist geschäftlich unterwegs …« Tullia Longina beäugte uns kritischer, als es Caesius getan hatte. Ich sah kaum vertrauenswürdiger aus als ein Gladiator. Wenigstens schien Helena, gekleidet in sauberes Weiß mit glitzerndem Gold an der Kehle, beruhigender zu wirken. Wieder hatte ich sie mitgenommen. Ich war in gereizter Stimmung und brauchte ihren bändigenden Einfluss.
    »Wir könnten zu einem geeigneteren Zeitpunkt wiederkommen«, bot Helena an, ohne es ernst zu meinen.
    Uns fiel der wachsame Blick der Frau auf. »Sie sprechen besser mit mir. Tullius ist bereits verärgert. Ein Mann namens Caesius war hier. Haben Sie etwas mit ihm zu tun?«
    Wir schnalzten mit der Zunge und gaben uns bekümmert ob seiner Einmischung. »Sie wissen demnach, was mit seiner Tochter passiert ist?«, fragte Helena, bemüht, die Freundschaft der Frau zu gewinnen.
    »Ja, aber mein Mann sagt, was hat das mit uns zu tun?« Ein Fehler, Tullia. Helena hasste Frauen, die sich hinter ihren Männern versteckten. »Valerias … Unfall … ist sehr bedauerlich und eine Tragödie für meinen armen Sohn, doch welchen Zweck soll es haben, sich mit dem aufzuhalten, was passiert ist?«
    »Vielleicht, um Ihren Sohn trösten zu können?« Meine Stimme war schroff. Ich dachte an den modrigen Inhalt des Bleisargs in Caesius’ Haus.
    Tullia bemerkte unsere Grobheit nach wie vor nicht. Wieder tauchte ihr wachsamer Gesichtsausdruck auf und änderte sich rasch. »Nun ja, das Leben muss weitergehen …«
    »Und Ihr Sohn ist nach wie vor im Ausland?« Helena hatte ihre Fassung wiedergefunden.
    »Ja.«
    »Sie möchten ihn doch bestimmt daheim haben.«
    »Allerdings! Aber ich muss gestehen, dass ich mich auch davor fürchte. Wer weiß, in welchem Zustand er sein wird …« Im nächsten Augenblick teilte uns die Mutter mit, dass sein Zustand erstaunlich stabil war. »Er hat beschlossen, seine Reise fortzusetzen, um Zeit zu haben, mit der Sache ins Reine zu kommen.«
    »Hat Sie das nicht überrascht?«
Ich
hielt es für erstaunlich und ließ sie das sehen.
    »Nein, er hat uns einen langen Brief geschrieben und es
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher