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Delphi sehen und sterben

Delphi sehen und sterben

Titel: Delphi sehen und sterben
Autoren: Lindsey Davis
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hergezogen. Als Dank für das Abendessen würde ich zusätzlich noch spitze Bemerkungen über Helenas und mein Versagen als Eltern hinnehmen müssen. Helena würde kontern, während ihr Vater und ich hinter vorgehaltener Hand grinsten, bis die beiden Frauen uns attackierten, woraufhin die Sklaven die Nachspeise hereintragen und wir uns über die Quitten und Feigen hermachen würden …
    Familienleben. Ich wusste, auf welchem Stand ich da war. Gegenüber früheren Zeiten, als ich noch allein arbeitete und in einer Bruchbude hauste, in der mich selbst die Geckos höhnisch angrinsten, hatte sich einiges gebessert. Die Frauen, die mich dort aufgesucht hatten, standen zwei Ränge und um viele Höflichkeitsgrade unter meiner Schwiegermutter. Ihre Anliegen waren jämmerlich, und sie brauchten meine Hilfe aus zwielichtigen Gründen. Was sie allerdings als Gegenleistung anboten, ging weit über den missmutigen Dank hinaus, den ich hier erwarten konnte, obwohl es sich dabei selten um Geld handelte.
    »Ich stehe dir selbstverständlich zur Verfügung, liebe Julia.«
    Der Senator grinste. »Nicht allzu beschäftigt im Moment?«
    »Ist erstaunlich ruhig«, teilte ich ihm mit. »Ich warte auf den üblichen Scheidungsrummel, wenn die Paare aus dem Sommerurlaub nach Rom zurückkehren.«
    »Sei nicht so zynisch, Marcus! Was ist los, Mutter?« Helena beäugte einen Früchteteller und suchte nach einem Stück Obst, das sie unserer älteren Tochter geben konnte. Favonia, unsere Jüngste, brachte es fertig, ganz zufrieden eine halbe Stunde an einer einzigen Traube zu lutschen, aber die kleine Julia würde, sich selbst überlassen, jede Pflaume und jeden Pfirsich anbeißen und sie dann heimlich wieder auf den Teller legen.
    »Alles ist los!« Julia Justa hatte eine kunstvolle Pose eingenommen, doch mehrere Reihen goldener Perlenanhänger bebten in den wohlduftenden Falten salbeigrüner Seide über ihrem Busen. Der Senator rutschte neben ihr auf der Speiseliege ein wenig zur Seite, um sich vor blauen Flecken durch ihren wütenden Ellbogen zu schützen.
    Helena warf ihrem Vater einen kurzen Blick zu, als hielte sie ihn für den Störenfried. Voller Vergnügen beobachtete ich das Wechselspiel. Wie bei den meisten Familien hatten sich Mythen über die Camilli gebildet: Der Senator werde dauernd schikaniert, und seiner Frau werde daheim kein Einfluss gestattet, zum Beispiel. Die Legende, dass ihre drei Kinder eine ständige Plage seien, kam der Wahrheit noch am nächsten, wenngleich Helena und ihr jüngster Bruder Justinus inzwischen zur Ruhe gekommen waren, beide mit Ehepartnern und Kindern. Wobei ich keinen sehr beruhigenden Ehepartner abgab.
    Der ältere Sohn, Julia Justas Liebling, war derjenige, der ihren momentanen Kummer ausgelöst hatte. »Ich bin verzweifelt, Marcus! Ich dachte, Aulus würde endlich mal etwas Vernünftiges tun!«
    Mit siebenundzwanzig war Aulus Camillus Aelianus immer noch ein fröhlicher Junggeselle, der das Interesse verloren hatte, in den Senat einzutreten. Er war unzuverlässig und wurzellos. Er gab zu viel Geld aus, trank, trieb sich bis in die Nacht herum; vermutlich war er auch ein Schürzenjäger, wobei es ihm gelungen war, das geheim zu halten. Am schlimmsten war, dass er manchmal für mich arbeitete. Privatschnüffler zu sein war ein hartes Brot für einen Senatorensohn. Tja, es war sogar hart für mich, und ich stamme aus der Gosse. Die Camilli hatten gesellschaftlich zu kämpfen. Ein Skandal würde sie vernichten.
    »Er war
einverstanden,
nach Athen zu gehen!«, wetterte seine Mutter, während wir anderen schweigend zuhörten. Zur allgemeinen Überraschung hatte er sich selbst dazu entschieden, die Universität zu besuchen – in der Hoffnung, es würde funktionieren. »Es war eine Lösung. Wir haben ihn gehen lassen, damit er studieren, seinen Geist entwickeln und reifen kann …«
    »Habt ihr etwa schon von ihm gehört?« Erst vor ein paar Wochen hatten wir Aulus zum Schiff nach Griechenland gebracht und ihm nachgewunken. Das war im August gewesen. Seine Mutter hatte sich Sorgen gemacht, dass Monate vergehen würden, bevor er sich endlich meldete. Sein Vater hatte gewitzelt, das werde geschehen, sobald seine Kreditbriefe erschöpft seien. Dann werde mit der ersten Nachricht die traditionelle Bitte eintreffen: Bin gut gelandet – schickt sofort Geld! Der Senator hatte ihn gewarnt, es sei kein Geld mehr da, doch Aulus wusste, dass er der Liebling seiner Mutter war. Er würde an sie schreiben, und sie
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