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Delhi Love Story

Delhi Love Story

Titel: Delhi Love Story
Autoren: Swati Kaushal
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trocken. »Du solltest langsamer trinken, Mai .«
    Ich nehme ihr das Handtuch ab. »Ist schon gut, ich mache das.«
    Sie sieht mir kurz zu, dann stellt sie den kleinen Fernseher leiser, der auf einem Stuhl in der Ecke steht und den ganzen Tag sinnloses Zeug ausspuckt. Sie geht zur Tür: »Ich bin gleich wieder da!«
    Nicht nötig, denke ich. Ich stelle den Fernseher wieder lauter. Plötzlich fallen mir seltsame Markierungen an der Wand auf. Es sind dünne, krakelige Linien, alle ungefähr einen Zentimeter lang. Sie sind in die Wand geritzt, eine über der anderen.
    Dadi erklärt: »Das sind Sujits. Ich habe ihn an Diwali immer gemessen.«
    Ich starre auf die Linien und stelle mir vor, wie Papa größer wurde, wie er sich mit dem Rücken fest an die Wand stellte – aber nicht auf die Zehenspitzen! – und Dadi mithilfe eines Lineals eine neue Markierung in die Wand ritzte.
    »Er war sehr groß«, erinnert sich Dadi .
    Ich muss lächeln. Papa war nicht besonders groß, aber auf die winzige Dadi wirkte er bestimmt wie ein Riese. Sie lehnt sich auf die andere Seite des Betts und versucht,
an ihre Nachttischschublade zu gelangen. Ich helfe ihr, sie zu öffnen. Sie zeigt auf ein mit Samt überzogenes Schmuckkästchen. Es ist klein und verstaubt, der Samt ist ausgeblichen. Andächtig streicht sie über den Stoff und öffnet mit zitternden Fingern das Kästchen. »Sieh nur«, sagt sie.
    Mit ihrer knochigen Hand reicht sie mir eine Medaille. Das einst rote Satinband sieht bräunlich aus, das Silber ist stark angelaufen.
    »Sie ist vom Präsidenten. Sujit bekam sie, weil er der beste Schüler in Bhopal war.«
    Das macht mich stolz. Ich betrachte die Medaille genau. Wenn ich doch nur die Hindi-Inschrift lesen könnte! »In welcher Klasse war er damals?«, will ich wissen.
    »Was?«
    »In welcher Klasse war er, als er die Medaille bekam?«
    »Sujit war der beste.«
    Mit einem Lächeln tätschele ich ihre Hand.
    Neera- Tai kommt zurück. Sie bringt ein Glas Wasser und Tabletten für Dadi und ein Glas Milch für mich. »Nein danke«, lehne ich ab. Als sie die Medaille auf dem Bett entdeckt, verdreht sie die Augen. Ich spüre Hass in mir aufsteigen. Eifersüchtige alte Schachtel.
    Als sie gehen will, hält Dadi sie am Arm fest. »Bring ein bisschen Schokolade für Ani.«
    »Ani möchte keine Schokolade«, antwortet sie. Hinter vorgehaltener Hand flüstert sie mir zu: »Sie wird sie nur selbst essen.«
    »Laddus« , sagt Dadi. »Bring ihr die Laddus , die ich gemacht habe.«

    »Sie möchte keine Laddus .«
    »Eigentlich hätte ich sehr gerne ein paar von Dadis Laddus «, widerspreche ich.
    Mit einem Stirnrunzeln weist Neera- Tai Dadi an, ihre Medizin zu nehmen, und rauscht wieder Richtung Tür.
    Dadi wartet, bis sie weg ist, und stopft ihre Tabletten unter die Matratze. »Sag ihr das bloß nicht«, flüstert sie.
    »Keine Sorge«, flüstere ich zurück.
    Wir müssen beide lachen.
    Ich bin so froh, dass ich hergekommen bin. Hier gehöre ich hin, in das Haus meines Vaters, zu dieser Frau, der Mutter meines Vaters, deren Umarmung nach Milch und echter Liebe riecht. Die Leute, die sich ihre Familie nennen, haben sie einfach in ein Nebenzimmer abgeschoben wie etwas Störendes. Sie haben keine Zeit für sie und für ihre Erinnerungen an meinen Vater – und sie haben keine Zeit für mich.
    Weder ihre Söhne noch ihre Schwiegertöchter noch Ma. Vor allem Ma nicht. Ich habe lange gebraucht, um das zu begreifen, aber jetzt ist mir alles klar. Und es ist mir egal, was die starke, schöne und absolut selbstbezogene Mrs Isha Rai denkt: Ich werde hier leben, im Haus meines Vaters, mit meiner Dadi , und ich werde mich um sie kümmern und ihr ein würdevolles Leben ermöglichen.
    Neera-Tai kommt wieder herein und stellt ein Tablett auf das Bett. »Hier sind deine Laddus .« Sie sieht Dadi finster an. »Die sind nur für Ani.«
    » Dadi darf bestimmt auch eines haben?«

    »Nein, darf sie nicht.« Sie nimmt den Teller vom Tablett und stellt ihn auf meinen Schoß. »Guten Appetit.« Damit verschwindet sie wieder.
    Ich nehme ein Laddu , beiße hinein. Es schmeckt wie zusammengeklebter Sand.
    »Schmeckt es dir?«, fragt Dadi .
    »Sehr lecker.« Ihr zahnloses Lächeln ist die Lüge wert. »Vielleicht nehme ich auch eines«, sagt Dadi und streckt sich nach ihren dritten Zähnen. Ich reiche ihr den Teller. Sie nimmt zwei Laddus , legt eines in ihren Schoß und steckt das andere in den Mund. Sie nuckelt daran herum. Ich drehe mich weg, spucke mein Laddu
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