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Delhi Love Story

Delhi Love Story

Titel: Delhi Love Story
Autoren: Swati Kaushal
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in die Hand und werfe es unauffällig in den Mülleimer hinter dem Fernseher.
    »Hat Papa wirklich selbst diesen Stuhl geschreinert?«, frage ich noch einmal.
    »Ja, nachts, während ich geschlafen habe«, bestätigt Dadi mit vollem Mund.
    Unglaublich. Der riesige Schaukelstuhl ist perfekt ausbalanciert; die Rückenlehne wunderschön verziert. Ich streiche über die geschwungene Armlehne. Es gibt so vieles, was ich von meinem Vater nicht wusste, vieles, was ich verpasst habe. Seine Medaillen, seine Jugendfreunde, all die Geschichten von den Streichen, die er gespielt hat. Ich durfte nicht erfahren, wie mein Vater als Kind war. Ich konnte meine Großmutter nicht kennenlernen. Auch das ist Mas Schuld. Sie hat uns auseinandergerissen.
    »Der Stuhl hat 24 Speichen, wie das Ashoka Chakra «, sagt Dadi.
    Ich nicke, obwohl der Stuhl nur zehn Speichen hat.

    »Sujit ist so begabt. Er macht immer so wundervolle Dinge.«
    Ich streiche zärtlich über das Holz. An einigen Stellen ist es gesprungen; die Farbe ist abgeplatzt. Es wurde all die Jahre nicht gepflegt. Wenn ich den Stuhl restauriere, würde er wieder großartig aussehen. Er würde wunderbar in den Garten passen, unter den Feigenbaum. Unter unseren Baum. Papas und meinen Baum.
    »Nimm noch ein Laddu, Beta «, sagt Dadi . »Das sind Sujits Lieblingssüßigkeiten.« Sie kichert. »Sujit kann ein Dutzend auf einmal essen. Er hat sogar welche stibitzt, noch bevor sie fertig waren.«
    Ich lächle. »Als Kind?«
    »Nein, nein, heute früh.«
    Sie will noch ein Laddu nehmen, aber ich schiebe den Teller weg. »Vielleicht solltest du dich jetzt besser ausruhen, Dadi .«
    »Nein, ich sollte etwas essen. Ich bin ganz ausgehungert. Hier gibt mir niemand etwas zu essen.« Sie spricht leiser. »Gestern hat mir Neera Schlangen zu essen gegeben. «
    Ich sehe sie verwirrt an. Aber sie meint es ernst. »Gut, dass Sujit mich gerettet hat.«
    Ich stehe auf. »Vielleicht sollte ich … mit Neera- Tai reden.«
    » Hai , nein! Sie wird mich in einen Käfig sperren und mich den Schlangen zum Fraß vorwerfen! Bitte hole sie nicht, bitte nicht Neera- Tai !«, schreit sie hysterisch. Neera- Tai kommt herein. Dadi wehrt sich verzweifelt, während Neera- Tai sie auf das Bett drückt.

    »Könntest du draußen warten, Ani?«, bittet sie mich.
    Als Neera- Tai aus Dadis Zimmer kommt, starre ich immer noch gedankenverloren aus dem Fenster. Neera- Tai wirkt bedrückt: »Ich glaube, sie muss andere Medikamente bekommen. Ich habe den Arzt schon angerufen. «
    »Was hat sie?«, frage ich. »Was ist mit ihr los?«
    »Sie ist schon eine ganze Weile so, Ani. Seit ihrem Schlaganfall. Bisher bekam sie normale Medikamente, aber die wirken nicht mehr so gut wie früher. Das war schon der dritte Vorfall in diesem Monat.«
    Ich sage ihr nichts von den unter der Matratze versteckten Pillen. »Aber vor ein paar Minuten schien es ihr noch gut zu gehen.«
    »Nicht alles ist, wie es scheint, Ani.«
    Sie reibt einen blauen Fleck auf ihrem Arm, bemerkt meinen Blick, lächelt. »Mach dir keine Sorgen. Sie ruht sich jetzt aus, es geht ihr bald wieder gut.«
    »Neera- Tai –«
    »Bevor ich es vergesse: Isha hat angerufen. Schon wieder. «
    Ich schaue aus dem Fenster, als hätte ich sie nicht gehört. In dieser Woche hat sie jeden Tag angerufen. Leider ist das ungefähr hundert Wochen zu spät.
    »Sie sagt, sie möchte wirklich gerne mit dir sprechen. «
    »Worüber?«
    Neera- Tai sufzt. »Ani, du weißt, dass wir uns über deinen Besuch hier freuen. Und du kannst solange bleiben,
wie du willst. Aber ich finde, du solltest deine Mutter anrufen. Sie klang sehr besorgt.«
    »Ha«, sage ich und verschwinde Richtung Garten.
    Der Winternachmittag ist warm und ruhig. Am Himmel ziehen ein paar Vögel ihre Kreise. Ich sehe dem Gärtner zu, der sich um die Blumen kümmert. Die Eichhörnchen, die im Feigenbaum leben, wagen kleine Ausflüge auf den Rasen. Ich setze mich auf die alte Schaukel, die an einem dicken Ast des Feigenbaums befestigt ist, und starre in den wolkenlosen Himmel.
    Arme Dadi . Sie hat schon so viel verloren und jetzt verliert sie auch noch den Verstand. Ich frage mich, woran sie sich noch erinnern kann. Wie viel von dem, was sie mir erzählt hat, ist wirklich wahr? Die Markierungen an der Wand, der Stuhl, die Medaille … »Vom Präsidenten«, hatte sie mit glänzenden Augen gesagt, und ich hatte ihr geglaubt. Als liefe der Präsident durch die Gegend und verteilte Medaillen an gute Schüler. Als könne ein
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