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Delhi Love Story

Delhi Love Story

Titel: Delhi Love Story
Autoren: Swati Kaushal
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ist die einzig wichtige. Sie ist real. Papas Lächeln war auch real. Die Liebe in seinen Augen, die Wärme seiner Umarmung, sein haariges Handgelenk –stark oder mager, warm oder kalt – das war alles real.
    Ich sehe mich um und versuche, mich auf die anderen wirklichen Dinge zu konzentrieren. Auf das sonnenbeschienene Gras, die Schatten der Bäume, das verwaschene Muster auf dem Sweatshirt des Gärtners. Alles real. Auf die Neigung seines Körpers, während er sich müde über die Blumen beugt, auf die klobigen Arbeiterhände. Mas müder, über ihre Zeichnungen gebeugter Körper fällt mir ein, ihr erschöpftes Seufzen und die Art, wie sie sich die roten Augen reibt. Auch das ist real.
    Mas Augen. Die fröhlichen Lichter darin, der Schmerz,
die Sorge … alles real. Ihre Arbeit. Ihre Kopfschmerzen. Sie hat immer gearbeitet. Sie arbeitete, wenn ich in der Schule war und wenn ich zu Hause war. Sie arbeitete, wenn Papa arbeitete und wenn er zu Hause war. Vor allem, wenn er zu Hause war.
    Ich ertappe mich bei der Frage: Wann hat Papa gearbeitet? Er hat doch gearbeitet, oder nicht? Trotzdem kann ich mich aus irgendeinem Grund nicht mehr daran erinnern …
    Er arbeitete natürlich im Garten. Er verbrachte viel Zeit im Garten, viel Zeit mit der Zeitungslektüre, viel Zeit damit, Dinge in der Zeitung zu markieren, auf der Veranda zu rauchen und unbemerkt seine Lungen zu zerstören. Wenn Ma nach Hause kam, versteckte er die Zigaretten.
    Es machte immer so viel Spaß, sich neue Verstecke zu überlegen, durch den Garten zu toben oder einfach gar nichts zu tun. Wenn Ma nach Hause kam, war immer alles ganz anders. Es ging nur um Hausaufgaben, Prüfungen und Noten – und um verbrannte Pizza.
    Ich muss schluchzen, vergrabe mein Gesicht in den Händen. Ich war ein Idiot. So ein verdammter, blöder –
    Hör auf zu fluchen, Annie.
    Meine Finger streichen über das brüchige Holz der Schaukel. Ein Schiefer dringt mit einem scharfen Schmerz in meine Haut ein. Der Schmerz ist beruhigend. Und real. So real wie der Schmerz in Ranis Augen vor zehn Tagen. Ihre Tränen waren auch real. Ich hatte sie verursacht.
    Ich fahre mit den Fingern über die Köpfe der Nägel,
die tief im Holz stecken. Sie sind kalt und metallisch; ihre rostigen Spitzen kratzen mich. Ich schlage meine Hand mit voller Wucht auf die Nägel und spüre, wie sie in meine Haut dringen. Ein guter, gezackter Schmerz. Ich genieße ihn mit geschlossenen Augen.
    Durch den Schmerz spüre ich wieder den kalten Reißverschluss von Kunals Jeans, das kühle Lächeln in seinen Augen. Wie amüsiert er mich ansah. Wie erwartungsvoll er Menaka ansah. Wie wissend er Pooja ansah. Seine Bewerbung in Yale, sein Schulterzucken – all das ist real.
    Real sind auch Keds’ Augen. Sein albernes Grinsen, seine verschwitzte Umarmung, seine Warnung: »Bleib brav, Ani.«
    Heute früh hat er mir eine E-Mail über die verpassten Unterrichtsstunden geschickt, und dumme, nette Neuigkeiten aus unserer Clique.
    Unsere Clique ist auch real. Ihre täglichen E-Mails, ihre blöden Witze, ihre Welt, meine Welt. All das ist real.
    Und Mas Anrufe, die ich ignoriert habe, mit ihrem Flehen … Komm zurück nach Hause .
    Ich rutsche von der Schaukel und betrachte meine blutende Hand. Ich sollte sie verbinden, bevor es schlimmer wird. Ich sollte zurück nach Hause fahren.

Neununddreißig
    Neu-Delhi. Die Stadt hat sich verändert, seit ich das letzte Mal hier war, sie ist erwacht und aufgeblüht, ist zu
einem fiebrigen Blumenmeer geworden. Nach nur zwei Wochen ist alles voller Blumen, am Straßenrand, neben den Gebäuden, zwischen den Büschen und Bäumen und Wegen und Straßen. Der Verkehr kommt mir schneller vor, die Überführungen breiter und dennoch sind mir die Straßen erschreckend vertraut. Diese alte neue Stadt tritt mir abrupt und grün entgegen, sie rast am Fenster vorbei und macht mich schwindlig, als das Flugzeug landet.
    Ma holt mich alleine ab. Im Morgenlicht wartet sie am Terminal für Inlandsflüge. Über der Schulter trägt sie ihre Laptoptasche, die Sonnenbrille hat sie in die Haare hochgeschoben. In der Hand hält sie ihr Mobiltelefon; im Ohr steckt das Freisprechgerät. Ich kämpfe mich durch die Menge in ihre Richtung. Sie blickt auf und ihr Gesichtsausdruck verändert sich wie die Jahreszeiten. Sie reißt das Freisprechgerät aus dem Ohr, ihr Handy fällt auf den Boden, sie umarmt mich und hält mich ganz fest. Ihre Umarmung ist das Schönste, was mir je passiert ist.
    Gespräche. Seltsam,
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