Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Delhi Love Story

Delhi Love Story

Titel: Delhi Love Story
Autoren: Swati Kaushal
Vom Netzwerk:
Jugendlicher an einem Tag einen Schaukelstuhl schreinern. Die Markierungen an der Wand reichten deutlich über 1,80 Meter … wieso habe ich ihr all das geglaubt? Warum habe ich nicht bemerkt, dass es die Übertreibungen eines verwirrten Geistes waren?
    Ich streiche über das verwitterte Holz der Schaukel. Hier soll er den ganzen Tag gesessen haben, hier soll sie auf seinem Schoß gesessen haben. Aber die Vorstellung macht mich nicht glücklich.
    Letztlich ist es egal. Es ist egal, ob Papa eine Medaille vom Präsidenten erhalten hat, von der Schaukel gefallen
ist, Laddus gestohlen oder einen Schaukelstuhl geschreinert hat. Er war real und ihre Liebe zu ihm war real, und nur darauf kommt es an, oder nicht?
    Unwillkürlich erinnere ich mich. Papa sieht mir lachend beim Spielen im Schlamm zu. Papa bereitet lachend unser Grillfest vor. Papa trägt mich lachend auf den Schultern. Diese Erinnerungen sind meine ständigen Begleiter, sie sind klar und lebendig, als hätten sich die Dinge erst gestern ereignet. Sie halten mich am Leben. So wie Dadis Erinnerungen sie am Leben halten. Allerdings sind meine real …
    Ich versuche, mich an andere Dinge zu erinnern. Dinge, die mir nicht sofort einfallen. Ich krame in meinem Gedächtnis nach verschwommenen Momenten. Mir fällt Papa beim Zeitunglesen ein. Wie er von der Zeitung aufblickt und lächelt. Papa, wie er den Hund der Jensens ausführt und ich ihn durchs Fenster sehe, während ich Hausaufgaben mache. Papa mit roten Augen im Bett, ein Fieberthermometer im Mund. Er nimmt das Thermometer heraus und lächelt. Das Rot in seinen Augen verschwindet zusammen mit dem fiebrigen Glanz; auf einmal sieht er gesund aus … Nein, so kann das nicht gewesen sein, er war wirklich sehr krank. Tagelang lag er mit Fieber im Bett. Und er hat bestimmt nicht gelächelt, während er krank war, denn er war kein besonders angenehmer Patient. Verschwommen sehe ich vor meinem inneren Auge, wie ein Glas an der Wand zerbirst und ein Schrei unterdrückt wird – dann sieht Papa mich wieder an und lächelt.
    Ich versuche, einen klaren Kopf zu bekommen; höre
auf zu schaukeln. Wahrscheinlich habe ich einen Sonnenstich und kann mich deswegen nicht richtig erinnern. Ich versuche, mich wieder auf das Bild von Papa mit dem Fieberthermometer zu konzentrieren, versuche, mich an seinen exakten Gesichtsausdruck zu erinnern. Papa sieht mich an und lächelt. Ich gebe mir Mühe, mir ihn in seinem Bett im Krankenhaus vorzustellen. Nadeln und Schläuche stecken in ihm, die Erinnerung schmerzt … Er blickt mich an und lächelt.
    Ich vergrabe mein Gesicht in den Händen. Wieso kann ich mich nicht richtig an ihn erinnern? Wieso scheint sein Gesicht in meiner Erinnerung zu einem Lächeln gefroren, selbst wenn er im Krankenhaus ist? Ich kämpfe einen Augenblick gegen das Bild an, will mich zwingen, mich an den wahren Gesichtsausdruck zu erinnern, ausgemergelt und voller Bitterkeit. Ich kann das Bild nur ganz kurz festhalten, dann blickt mich ein lächelnder Papa an und löscht den leidenden aus. Warum?
    Ruhe bewahren , sage ich mir. Denk nicht an so etwas. Hör auf zu überlegen, ob das Lächeln echt ist. Natürlich ist es echt .
    Trotzdem klopft mein Herz jetzt noch schneller. War sein Lächeln, diese besondere Mischung aus Liebe, Humor, Esprit und Klugheit, Munterkeit und Lebendigkeit jemals real, oder ist es nur eine fantasievolle Kombination aller Gesichtsausdrücke, die ich besonders an ihm mochte? Erinnere ich mich wirklich an ihn, oder, wie Dadi, nur an meine Vorstellung von ihm?
    Ich schließe die Augen, zerre fest an meinen Haaren, um mich von den Schmerzen in meinem Kopf abzulenken
und den Gedankenfluss zu unterbrechen. Ich fühle mich hilflos. Die Zeit scheint ihn immer weiter von mir wegzuschieben, und sosehr ich es auch versuche, ich kann ihn nicht mehr richtig erkennen. Er ist nur eine Silhouette, ein Umriss, und bald nicht mehr als die Erinnerung an diesen Umriss. Ende der Vorstellung. Aber noch nicht ganz. Denn plötzlich erwacht eine hässliche Erinnerung, ich sehe ein wutverzerrtes Gesicht und eine erhobene Faust, höre eine laute Stimme …
    Ich versuche, alle Tränen aus dem Bild zu pressen und mich ein für alle Mal von ihm zu befreien. Das war nicht Papa. Er kann es nicht gewesen sein. Er war lieb und nett. Meistens zumindest …
    Auch der Mond hat zwei Seiten, denke ich. Niemand hat je seine dunkle Seite gesehen und niemand braucht sie zu sehen. Die Seite, die ich sehe und die den Nachthimmel erhellt,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher