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Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied
Autoren: Javier Marias
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Schritte. Und von uns beiden wird man sagen: Warum gingen sie aufeinander los und wozu diese ganze Anstrengung, warum führten sie Krieg, statt zu schauen und ruhig zu verharren, warum verstanden sie es nicht, sich zu sehen oder sich weiter zu sehen, und wozu soviel Traum und dieser Stich, mein Schmerz, mein Wort, dein Fieber und so zahlreich die Zweifel und so eine Qual.
    Ich hatte mich für den Abend mit Luisa verabredet: Wir sehen uns zwei- oder dreimal die Woche, in dieser Atempause, die wir uns nun schon seit einiger Zeit einräumen. Und nicht nur das, sie hat die Schlüssel zu meiner Wohnung und kommt manchmal schon vorher, und dann macht sie es sich dort bequem und wartet auf mich, genau wie Tupra glaubte, daß jemand in London auf mich wartete, in jener Nacht von Gift und Tanz, als es dort niemanden gab, der mich erwartet hätte und der die Lichter hätte löschen können, wenn ich nicht da war, meine Lichter, die immer brannten, damit ich nicht alles dunkel vorfand. Niemand hatte meine Schlüssel, dort wartete nie jemand auf mich. Der Hausmeister sagte zu mir: »Die Dame ist oben, Ihre Freundin. Sie hat ein Paket mit hochgenommen, das für Sie gekommen ist, ich habe es ihr gegeben.« Der Mann sieht an uns etwas von einem Ehepaar, aber er ist sich nicht ganz schlüssig, er schwankt. Ich habe ihm gesagt, daß Luisa meine Frau ist, aber er glaubt das nicht so ganz, oder vielleicht versteht er nicht, warum sie dann kommt und geht.
    Bevor ich die Tür öffnete, hörte ich sie drinnen trällern, sie singt jetzt häufig vor sich hin und lacht wieder viel, mit mir und ohne mich, nehme ich an, sie geizt mir gegenüber nicht mehr mit ihrem Lachen, und ich vertraue darauf, daß das so bleibt, möglichst für immer, so sehe ich es. Ihre Rückkehr hat nichts mit der von Beryl zu Tupra gemein, nach meinen fernen Deutungen und wenn sie denn tatsächlich wieder zusammen sein sollten, das habe ich letztlich nie erfahren: Hier gibt es keine Hintergedanken, oder keine falschen, und auch keine Heimlichkeit. Zweifellos tut es Luisa gut und es amüsiert sie, daß wir uns auf diese sporadische Weise sehen, daß wir nicht mehr zusammen wohnen, wobei ich nicht weiß, ob sie nicht eines Tages genug davon bekommen wird, sie fängt an, Kleidung bei mir zu lassen. Für mich ist das alles in Ordnung so, schließlich habe ich mich in London daran gewöhnt, sehr allein zu sein, wie Wheeler mir anfangs in väterlichem Ton zu sagen pflegte, und gelegentlich brauche ich das auch, ich glaube, ich könnte es nicht ertragen, wenn jemand ständig anwesend wäre und ich nie wieder alleine durch meine Fenster die Welt betrachten könnte, die orientierte und lebendige Welt, zu der ich, wie ich vermute, noch immer gehöre. Ich öffnete die Tür und sah im Wohnzimmer auf dem Couchtisch das Paket liegen, das der Portier Luisa übergeben hatte, sie stand in der Küche, sie trällerte weiter vor sich hin, ohne meine Ankunft zu bemerken. Ich warf einen Blick auf das Paket, es kam aus Berlin, Schuhe aus dem Haus Von Truschinsky, wo ich, da er nun meine Maße hat, hin und wieder ein Paar bestelle, sie sind ziemlich teuer. Ich muß immer an Tupra denken, wenn ich sie erhalte, wobei ich ohnehin nie ganz aufhöre, ihn vage als gegenwärtig zu empfinden, wie einen Freund, auf den man weiter zählt – merkwürdig ist das – und an den man sich nötigenfalls wenden kann. Fürs erste habe ich das nicht getan.
    An jenem Abend war er mir noch gegenwärtiger, nach der stummen Begegnung mit Custardoy, mit zwei oder drei Tieren als gleichgültigen Zeugen. Auf dem Nachhauseweg hatte ich noch etwas weitergedacht, ich hatte gedacht: ›Die Angst, die ich De la Garza nicht einflößen wollte, als ich in sein Botschaftsgebäude ging, die Panik, die bei ihm auszulösen in mir Abscheu erregt hat, die hätte ich in Custardoys Gesicht und in seinem Verhalten nur zu gerne gesehen. Bei ihm ist der Schreck schon ganz verflogen, oder wenn noch etwas davon da ist – und das muß zwangläufig so sein –, dann läßt er es sich nicht anmerken. Nichts läuft so, wie wir es wollen oder vorhersehen, oder vielleicht liegt es daran, daß ich noch immer zu zögerlich bin, Tupra wäre so etwas nie unterlaufen, er hätte ihn, als er ihn am Rand hatte, ganz von der Bildfläche gelöscht, ich hingegen werde jetzt die Ecken bewachen müssen, falls er sich wieder hineinstehlen möchte, diesmal mit dem Schwert oder mit der Lanze, obwohl dafür vielleicht noch Zeit vergehen muß, denn die Angst
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