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Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied
Autoren: Javier Marias
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letzten Besuch hörte, wie Sir Peter Ihnen vom Blut seiner Frau auf jenem anderen ersten Treppenabsatz erzählte, vor sechzig Jahren und in einem anderen Haus, also, da kam mir der ungute Gedanke, daß Sie glauben könnten, etwas Übernatürliches gesehen zu haben oder eine Vision, und jetzt mußte ich Sie über diese Möglichkeit in Kenntnis setzen. Ich hoffe, Sie verzeihen mir, daß ich mich damals ungläubig gestellt habe. Aber ich konnte zu dem Zeitpunkt nichts erwähnen, wovon Sir Peter nichts zu wissen wünschte. Ja, er hat es wirklich immer ignoriert und bis zum Ende nicht wahrhaben wollen. In der Tat ist er gestorben, ohne zu begreifen, daß er im Sterben lag, er starb, ohne es zu glauben. Ein Glück für ihn.‹ ( ›Lucky him‹, schrieb sie.) Und da erinnerte ich mich an zwei Dinge, die ich Wheeler in unterschiedlichen Kontexten und Situationen hatte sagen hören: ›Alles kann entstellt, verzerrt, annulliert, ausgelöscht werden, wenn man bereits verurteilt ist, ob man es nun weiß oder nicht, und wenn man es nicht einmal weiß, dann ist man wehrlos, verloren.‹ Und er hatte auch verkündet oder geurteilt: ›Und so will heute niemand etwas wissen von dem, was er sieht, was geschieht und was er im Grunde weiß, von dem, was als flüchtig und unbeständig erahnbar ist oder sogar nichts sein wird oder in gewissem Sinne nicht gewesen sein wird. Niemand ist daher bereit, etwas mit Gewißheit zu wissen, denn die Gewißheiten sind abgeschafft, als wären sie verpestet. Und so geht es uns, und so geht es der Welt.‹
    Ja, ich lebe jetzt wieder in Madrid, und auch hier deutet alles, wie ich glaube, in diese Richtung. Ich arbeite nun wieder mit dem Finanzier Estévez zusammen, meinem früheren Partner, den ich nach meiner Oxforder Etappe ein paar Jahre lang hatte, zur Zeit meiner Heirat mit Luisa. Er läßt sich nicht mehr als ›treibende Kraft‹ bezeichnen wie während unserer ersten Partnerschaft, inzwischen ist er für gewisse nominale Eitelkeiten zu wichtig geworden, er hat sie nicht mehr nötig. Ich hatte von London aus Kontakt mit ihm aufgenommen, um zu sondieren, welche Möglichkeiten sich mir angesichts der bevorstehenden Rückkehr eröffneten: Ich hatte zwar einiges gespart, sah in Madrid aber zahlreiche Ausgaben voraus. Und als ich ihm am Telefon kurz schilderte, was ich in letzter Zeit getan hatte, merkte ich, daß meine Phase beim MI 6 Eindruck auf ihn machte, auch wenn ich bei einer so unbekannten und merkwürdigen Gruppe wie der in dem namenlosen Gebäude gewesen sein mochte, von der in der Literatur nie die Rede war – so ätherisch, so geisterhaft, daß von den Mitgliedern nicht einmal die britische Staatsangehörigkeit oder ein Gelöbnis verlangt wurden –, und ich keine Beweise beibringen konnte, sondern nur Kenntnisse. Ich wollte ihm auch nicht viele Einzelheiten nennen, die, die ich ihm nannte, waren erfunden. Wie dem auch sei, er bezog mich auf der Stelle in seine Projekte ein, und er vertraut auf mein Urteil, insbesondere was Menschen angeht. Für ihn deute ich sie also immer noch hin und wieder, und aufgrund meiner früheren Tätigkeit – meiner Vorgeschichte – hört er mich immer an wie ein Orakel. Ich verdiene bei ihm Geld genug, um Luisa etwas bottox spendieren zu können, wenn es sie eines Tages überkommen sollte, oder irgend etwas sonst, um ihr Aussehen zu verbessern, falls diese Panik sie befällt, ich glaube nicht, das liegt nicht in ihrem Charakter. Für mich ist es immer noch genauso blendend wie vor meinem Weggang, ich meine nach England und von zu Hause weg, ich meine das Aussehen. Und ich habe auch da Einblick, wo das lange Zeit nicht der Fall war, für einen anderen dagegen schon in meiner Abwesenheit. Wenn ich nicht allein lebe, sondern halballein, dann weil ich fast täglich mit den Kindern ausgehe oder sie besuche und weil Luisa manchmal abends zu mir kommt, sie läßt sie dann in Obhut eines anderen Kindermädchens, die strenge Polin Mercedes hat geheiratet und sich selbständig gemacht, anscheinend hat sie ein Geschäft eröffnet.
    Das ist es, was Luisa will, daß jeder seine eigene Wohnung hat, und vielleicht hat sie mir deshalb bisher nicht gesagt, was ich mir von ihr zu hören oder zu lesen wünschte während meiner einsamen und später betäubenden Zeit in London: ›Komm, komm, ich habe mich vorher so geirrt. Nimm wieder diesen Platz an meiner Seite ein, hier ist dein Kissen, das schon ohne Spur ist, ich habe nicht verstanden, dich zu sehen. Komm. Komm zu mir.
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