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Dein Ende wird dunkel sein (German Edition)

Dein Ende wird dunkel sein (German Edition)

Titel: Dein Ende wird dunkel sein (German Edition)
Autoren: Michelle Paver
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lesen, dass Longyearbyen über Elektrizität verfügt und über Wasser, das aus einem Gletscher gepumpt wird, sowie über einen Billardsaal und ein Badehaus. Ich habe nur hässliche Bergmannsbaracken gesehen, die sich an den Fuß ödgrauer Berge kauern. Eine Seilbahn verläuft an ihnen entlang wie ein rußiges Halsband, die Förderkübel kippen in schwarzen Staubwolken Kohle auf die Mole. Eine einzige Straße, mit Gerümpel übersät und von kreischenden Möwen belagert. Eine Holzkirche und auf einer Anhöhe eine Ansammlung von Grabmälern.
    Auf dem Rückweg zum Schiff begegneten wir einer Gruppe Bergleute, die in die «Stadt» wollten. Einer drehte sich um und sah mich an. Sein Gesicht war rußgeschwärzt, der Blick zornig. Er sah kaum wie ein Mensch aus. Zu allem fähig. Ich fühlte mich auf unbestimmte Weise bedroht. Und beschämt.
    Es mutet falsch an, dass es auf Spitzbergen Orte wie diesen gibt. Ich bin froh, dass Gruhuken weitab von alledem liegt. Ich möchte es nicht besudelt wissen.
    2. August, bei Kap Mitra, im Nordwesten von Spitzbergen
    Zuerst Hugo, und jetzt das. Verfluchter Eriksson. Er verleidet uns die ganze Expedition – und weswegen? Er hat uns nicht einmal einen Grund genannt.
    Heute Morgen waren Algie und ich an Deck, als Gus uns in den Salon rief.
    Wir wussten sogleich, dass etwas faul war. Eriksson saß in eisiges Schweigen gehüllt da, die Hände flach auf dem Tisch. Gus’ Miene war unbewegt, sein Blick glasig vor Zorn.
    «Ah, meine Herren», empfing er uns mit schneidender Stimme. «Wie es scheint, weigert sich Mr. Eriksson, uns nach Gruhuken zu bringen.»
    Wir starrten den Kapitän an. Er wich unseren Blicken aus.
    «Er sagt», fuhr Gus fort, «er will uns zum Raudfjord bringen, aber nicht weiter …»
    «Aber das liegt vierzig Seemeilen davon entfernt!», rief Algie aus.
    «… und er sagt», fuhr Gus fort, «dass dies von Anfang an sein Auftrag gewesen sei. Dass von Gruhuken nie die Rede war.»
    Die unverfrorene Lüge des Norwegers verwunderte mich. Und er lenkte nicht ein. Er setzte sich vielmehr vehement zur Wehr. Er hielt daran fest, dass er angeheuert worden sei, um uns zum Raudfjord zu bringen und nicht weiter. Wir widersprachen, das sei Humbug, Gruhuken sei von Anfang an unser Ziel gewesen. Er sagte, am Raudfjord könne man gut lagern. Wir wiesen ihn darauf hin, dass es am Raudfjord keinen Gletscher gab und dass wir uns kaum die Mühe gemacht hätten, einen Schlitten und acht Hunde mitzunehmen, wenn wir sie nicht benötigten. Er sagte, darüber wisse er nichts. Sein Schiff sei für Raudfjord angemietet worden, und zum Raudfjord werde es fahren.
    Wir kamen nicht von der Stelle. Algie murmelte etwas von rechtlichen Schritten. Gus schäumte vor Wut. Der Norweger verschränkte die Arme und machte ein finsteres Gesicht.
    Hinter seiner unbeugsamen Haltung erspürte ich Unbehagen. Es war ihm zuwider, seinen Auftrag nicht einzuhalten. Warum tat er es dann?
    Ehe ich etwas sagen konnte, legte Gus beide Hände auf den Tisch und beugte sich zu dem Kapitän hinüber. Seine gewohnte Freundlichkeit war wie weggeblasen. Statt ihrer gewahrte ich die Selbstsicherheit eines Mannes, der von klein auf daran gewöhnt war, Befehle zu erteilen. «Jetzt hören Sie mal zu, Mr. Eriksson», sagte er. «Sie werden den Auftrag ausführen, für den Sie angeheuert wurden. Sie werden uns nach Gruhuken bringen – und damit basta!»
    Armer Gus. Das führt vielleicht auf dem Gut seines Vaters zum Erfolg, aber nicht bei einem Mann wie Eriksson. Der Norweger saß reglos wie ein Felsen.
    Ich befand, dass die Reihe jetzt an mir war. «Mr. Eriksson», sagte ich, «erinnern Sie sich an unseren ersten Abend an Bord? Ich fragte Sie, warum Sie beschlossen hatten, in Spitzbergen zu überwintern, und Sie sagten, weil man dort mit beiden Lungen atmen kann. Ich habe das so verstanden, dass Sie sich frei fühlten. Frei, eigene Entscheidungen zu treffen. Hatte ich recht?»
    Er antwortete nicht. Aber ich besaß seine Aufmerksamkeit.
    «Sehen Sie nicht, dass es für uns genauso ist?», fuhr ich fort. «Wir haben uns lange und gründlich überlegt, wo wir unser Lager aufschlagen werden, und haben uns für Gruhuken entschieden. Wir haben es beschlossen. Wir haben eine Entscheidung getroffen.»
    «Sie wissen nicht, was Sie tun», knurrte er.
    «Hört, hört», rief Gus.
    «Also, ich muss schon sagen!», rief Algie gleichzeitig.
    Ohne Eriksson aus den Augen zu lassen, bedeutete ich ihnen, still zu sein. «Was meinen Sie damit?»
    «Sie
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