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Dein bis in den Tod

Dein bis in den Tod

Titel: Dein bis in den Tod
Autoren: Gunnar Staalesen
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und Jonas. Aber diesmal war die Einseitigkeit anders herum – nicht von mir aus, meine ich.«
    »Sie begannen also ein Verhältnis mit ihm?«
    Sie nickte stumm und schluckte. Tief in ihren Augen flimmerte es. In meinem Kopf pochte es, ein kräftiger Kopfschmerz war im Anmarsch. Paulus Smith betrachtete sie mit düsterem Blick. Sie selbst sah nur Hamre an.
    »Wann war das?«, fragte Hamre. »War das vor oder nach der Trennung von Jonas Andresen?«
    Sie schluchzte auf. »Es war vorher! Aber es hatte nichts zu bedeuten, es war keine Untreue, und es hatte auch nichts mit der Trennung zu tun. Es war schon lange aus zwischen Jonas und mir. Ich spürte es, mit jeder Faser meines Körpers, als wäre alle Liebe, die ich in mir trug, zu Eis gefroren, eingesperrt, in die hintersten Räume verdrängt. Verstehen Sie? Es war nicht viele Monate bevor Jonas – ging. Aber es war vorher!«
    »Könnte es sein, dass Ihr Mann Sie deswegen verließ?«
    »Wer? Jonas? Niemals! Er hatte ja selbst – eine andere. Solveig Sowieso. Ich glaube, dass er niemals etwas wusste von – Gunnar und mir. Das hätte ich ihm angemerkt. Er hätte es auf jeden Fall gesagt, als er – auszog. Nein, das blieb zwischen Gunnar und mir. Wir waren so diskret, wie man nur sein kann. Wir waren nur ganz selten, nur wenn wir ganz sicher waren, zusammen. Entweder bei ihm – meistens – oder bei mir. Aber bei ihm war es sicherer. Dort ging es uns am besten.«
    »Sie – haben sich gut verstanden?«
    Wieder der herausfordernde Blick. »Gut verstanden? So gut, wie sich zwei erwachsene Menschen verstehen, die beide ziemlich enttäuscht und verbittert sind. Es tat gut, wieder richtig zärtlich sein zu können – und Zärtlichkeit zu bekommen! Etwas mit einem Menschen zu teilen, obwohl es heimlich geschah und eigentlich etwas – Schmutziges war. Sie müssen verstehen: Ich komme aus ziemlich strengen Verhältnissen, was das angeht. Untreue ist eine unverzeihliche Todsünde, egal wie die Umstände sind. Jonas’ Untreue machte meine nicht besser oder richtiger. Verstehen Sie?«
    Hamre setzte an: »Haben Sie jemals von …« Er bremste sich und stellte die Frage anders: »Frau Andresen, können Sie mir sagen, welche Gründe Gunnar Våge gehabt haben könnte, Ihren Mann umzubringen?«
    Sie schüttelte verständnislos den Kopf. »Wir waren ja schon fast geschieden. Es gab keinen Grund … Es war ja vorbei mit Jonas und mir.«
    »Nicht gefühlsmäßig. Nicht von Ihrer Seite.«
    Sie antwortete nicht. Wir sahen, wie sie nach Worten suchte. Mehrmals öffnete sie den Mund, um etwas zu sagen, aber es kam kein Ton heraus.
    Hamre sagte: »Ist Ihnen klar, dass trotz der Dinge, die heute Abend passiert sind, die Indizien noch genauso klar darauf hindeuten, dass Sie Ihren Mann umgebracht haben?«
    Jetzt mischte sich Paulus Smith ein. »Hören Sie mal, Hamre. Nun nehmen Sie sich mal zusammen, Mann. Sie können doch verdammt noch mal nicht meinen, dass …« Er sah mich Unterstützung suchend an. Als ich nichts sagte, fuhr er selbst fort: »Dieser Gunnar Våge hat heute Abend diesen Jungen umgebracht, das hat er doch wohl schon gestanden.«
    »Nicht offiziell«, sagte Hamre.
    »Nein, aber dennoch«, fuhr Smith fort. »Und der Grund ist offensichtlich: Der Junge hatte etwas gegen ihn in der Hand, er wusste, dass es Våge war, der Andresen umgebracht hat. Er hielt sich vor dem Block auf, gleichzeitig mit Veum, und er könnte etwas gesehen haben, das Veum nicht sah …«
    »Kann das möglich sein?«, fragte Hamre säuerlich.
    »Mit neunundneunzigprozentiger Wahrscheinlichkeit«, fuhr Smith fort, »sah er, wie Gunnar Våge Jonas Andresen niederstach und dann in das Treppenhaus verschwand, das dem gegenüber liegt, durch das Veum heraufkam. Als Våge heute Abend aufging, wie viel der Junge wirklich wusste, gab es nur noch eine Möglichkeit, wenn er das Ganze geheim halten wollte. So einfach ist das, Hamre. Das ist alles.«
    Ich lehnte mich schwer über die Tischplatte, sah Wenche Andresen direkt an und sagte: »Was Gunnar Våge angeht, hast du mich belogen, Wenche.«
    Die anderen wurden still. Wenche Andresen wandte sich langsam mir zu und sah mich mit ihren großen, blauen Augen an, die ich vor weniger als vierzehn Tagen zum ersten Mal gesehen hatte. Ich betrachtete ihren Mund, ihre Lippen, die ich geküsst hatte und die wieder zu küssen ich gehofft hatte. Ich betrachtete ihr Gesicht, dachte daran, wie weich und still sie es zu mir erhoben hatte, als ich sie küsste, das erste Mal, das
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