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Dein bis in den Tod

Dein bis in den Tod

Titel: Dein bis in den Tod
Autoren: Gunnar Staalesen
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teuerste, den du kaufen kannst, und der billigste, den du nachgeworfen bekommst.«
    Er blickte mich fragend an, und ich beeilte mich, hinzuzufügen: »Das kommt ganz auf die Art des Auftrags und den Auftraggeber an. Also darauf, was du von mir willst, und wer du bist. Nun erzähl mal alles. Also … dein Fahrrad ist gestohlen worden. Und du willst wissen, wer es war, und wo es ist?«
    »Nein. Wer es hat, weiß ich.«
    »Aha. Und wer?«
    »Joker und seine Bande. Sie haben es auf Mama abgesehen.«
    »Auf deine Mutter?« Ich verstand nicht.
    Er sah mich vollkommen ernst an. Ich fragte: »Sag mal, wie heißt du eigentlich?«
    »Roar.«
    »Und weiter?«
    »Roar … Andresen.«
    »Und wie alt bist du?«
    »Achteinhalb.«
    »Und wo wohnst du?«
    Er nannte eine der Trabantenstädte im Südwesten der Stadt, eine Gegend, in der ich mich nicht besonders gut auskenne. Im Großen und Ganzen hatte ich sie immer nur aus der Entfernung gesehen. Sie erinnert mich an eine Mondlandschaft, wenn sie auf dem Mond solche Wohnblocks haben.
    »Und deine Mutter – weiß sie, wo du bist?«
    »Nein. Sie war noch nicht zu Hause, als ich gefahren bin. Ich habe deine Adresse im Telefonbuch gesehen und ganz allein den Bus in die Stadt genommen, und ich habe hergefunden, ohne jemanden zu fragen.«
    »Dann rufen wir am besten deine Mutter an, damit sie sich keine Sorgen macht. Habt ihr Telefon?«
    »Ja. Aber sie ist bestimmt noch nicht zu Hause.«
    »Aber sie arbeitet doch irgendwo. Können wir sie bei der Arbeit anrufen?«
    »Nein, weil sie nämlich jetzt auf dem Weg nach Hause ist, glaube ich. Und außerdem möchte ich nicht, dass sie von dem hier was erfährt.«
    Er wirkte auf einmal so erwachsen. Er wirkte so erwachsen, dass ich das Gefühl hatte, ich könnte ihm die Frage stellen, die mir die ganze Zeit schon auf der Zunge lag. Kinder wissen heutzutage so viel mehr. »Und dein Vater, wo ist der?«
    Der einzige Unterschied, den ich sehen konnte, war, dass seine Augen noch ein Stück größer wurden. »Der … der wohnt nicht mehr bei uns. Er ist ausgezogen. Mama sagt, dass er – dass er eine andere Freundin hat, obwohl die Freundin selbst zwei Kinder hat. Mama sagt, dass Papa nicht lieb ist, und ich soll ihn einfach vergessen.«
    Ich sah Thomas und Beate vor mir und musste ganz schnell sagen: »Hör mal zu. Ich glaube, jetzt fahre ich dich nach Hause, und dann sehen wir mal nach, ob wir dein Fahrrad nicht finden können. Den Rest kannst du mir ja unterwegs im Auto erzählen, okay?«
    Ich zog eine Jacke an und warf noch einen letzten Blick ins Zimmer. Wieder war ein Tag im Begriff, sich aus dem Staub zu machen, ohne eine sichtbare Spur zu hinterlassen.
    Er sagte: »Nimmst du deinen Revolver nicht mit?«
    Ich sah ihn an: »Meinen Revolver?«
    »Ja.«
    »Ich habe gar keinen, Roar.«
    »Du hast gar keinen? Aber ich dachte …«
    »Das ist nur im Kino so. Und im Fernsehen. Nicht in Wirklichkeit.«
    »Ach so.« Jetzt sah er wirklich enttäuscht aus.
    Wir gingen. In dem Moment, als ich die Tür hinter mir abgeschlossen hatte, hörte ich das Telefon klingeln. Eine Sekunde schwankte ich, ob ich wieder aufschließen sollte, aber wahrscheinlich war es nur irgendjemand, der wollte, dass ich seine Katze suchte, und ebenso wahrscheinlich würde es genau in dem Augenblick aufhören zu läuten, in dem ich den Schreibtisch wieder erreichte. Außerdem war ich auch gegen Katzen allergisch. Also ließ ich es bleiben.
    Es war gerade die Woche im Monat, in der der Aufzug funktionierte, und auf dem Weg nach unten fragte ich: »Dieser Joker, wie du ihn genannt hast, wer ist das?«
    Er schaute mich ernst an und sagte mit zitternder Stimme: »Er ist … böse.«
    Ich fragte nicht weiter, bevor wir im Wagen saßen.

2
    Draußen war es wieder kälter geworden. Der Frost kratzte mit ersterbenden Klauen über den fahlen Himmel, und der laue Champagnerrausch des Vormittags war vergangen. In den Augen der Menschen, die uns entgegenkamen, stand kein Frühling zu lesen: nur Abendessen, Probleme am Arbeitsplatz, Beziehungsstress. Der Winter gab ein da capo, am Himmel wie in den Gesichtern der Menschen.
    Mein Auto war vor einer Parkuhr oben am Tårnplass abgestellt. Da stand es und sah unschuldig aus, obwohl es genau wusste, dass die Parkzeit längst abgelaufen war.
    Mein kleiner Klient war die ganze Zeit neben mir gegangen und hatte zu mir aufgeschaut – wie eben ein Achtjähriger zu seinem Vater aufschaut, wenn sie zusammen in der Stadt sind. Nur dass ich nicht sein Vater war
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