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Dein bis in den Tod

Dein bis in den Tod

Titel: Dein bis in den Tod
Autoren: Gunnar Staalesen
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ich, »wenn ihr sieben Paar Augen und fünfzehn, zwanzig Jahre jünger seid als ich. Ein Löwe, der ein paar Jahre im Zoo ausgestellt gewesen ist, sieht auch nicht besonders gefährlich aus, bis sich jemand in seinen Käfig wagt.«
    Ich ging einen Schritt weiter zum Nächsten. Der war ungefähr gleich groß wie ich, hatte einen großen Pickel am linken Nasenflügel und Schweiß auf der Oberlippe.
    »Ihr macht mir keine Angst, nur weil ihr hier steht und im Gesicht ausseht wie das norwegische Hochgebirge. Sogar noch im Sonnenuntergang.« Er wurde sichtlich rot und ich ging weiter zum Nächsten.
    Der Junge hatte bereits einen prächtigen grauschwarzen Stoppelbart. Er hatte dichte, dunkle Augenbrauen, aber die Augen darunter waren verräterisch kurzsichtig. Er sollte eigentlich eine Brille tragen. Ich wedelte mit der Hand vor seinen Augen herum. Er wusste nicht, worauf er den Blick fixieren sollte.
    »Hallooo? Jemand zu Hause? Hier bin ich. Nein, hier. Geh nach Hause und hol deine Brille, Kumpel. Du siehst ja aus wie ein Abgesandter der dritten Dimension. Ja, das verstehst du, wenn du ein bisschen älter geworden bist. Wirf bei Gelegenheit mal einen Blick in ein Lexikon, falls du weißt, was das ist.«
    Der nächste Mann war Joker, und ich ging einfach an ihm vorbei. Im Augenwinkel sah ich, dass er daran schwer zu schlucken hatte. Rechts von ihm stand Tasse, der Narr.
    Ein Narr ist eine leichte Beute, wenn er nicht bereits immun geworden ist. »Hallo, Schweinchen Schlau. Du siehst aus, als hättest du selbst dann und wann ein Fahrrad nötig.« Ich wartete einen Moment. »Kondition, Fitness, Gewichtsreduzierung. Steht alles im Fremdwörterbuch.«
    Die beiden letzten erledigte ich in einem Aufwasch. »Und wer ist das hier? Dick und Doof im Kindergarten?« Ich ging zurück in die zentrale Position und ließ den Blick über sie alle gleiten. »Wisst ihr, wer ich bin? Veum, der Redewütige, schon mal von mir gehört? Ihr findet mich im Telefonbuch, unter M für Monster. Manchmal auch in der Zeitung, jedes Mal, wenn ich einen zum Krüppel geschlagen habe. Also ich kann euch nicht empfehlen, zu mir in den Käfig zu kommen. Das müsst ihr so sehen: Ich spiele in der Nationalelf, und ihr seid die F-Jugend eines Vereins der fünften Liga von Møre og Romsdal. Ihr habt nur einen Vorteil: Ich darf eigentlich keinen schlagen, der kleiner ist als ich. Aber so ganz genau habe ich es damit bisher nie genommen. Ihr könnt es ja versuchen.« Und solange ich noch einen kleinen Vorsprung hatte, fügte ich noch schnell hinzu: »Ich bin hergekommen, um mein Fahrrad zu holen, und das werde ich jetzt tun. Habt ihr was dagegen?«
    Ich fixierte Joker. Psychopathen und Bären gleichen sich in einem: Die beste Methode, sie zu zähmen, ist, ihnen direkt in die Augen zu starren. Ich sagte: »Wenn Männer pokern, ist nie ein Joker im Spiel.«
    Damit schritt ich direkt an ihm vorbei, griff den Lenker des Fahrrads und schwang es herum. Sechs Augenpaare gafften mich an. Joker stand da wie vorher, mit dem Rücken zu mir.
    Einem Psychopathen den Rücken zuzuwenden ist das Dümmste, was du tun kannst, aber ich hatte ein fasziniertes Publikum und nicht viele Alternativen. Während ich auf dem Weg aus dem Bannkreis heraus an Joker vorbeiging, drehte ich den Kopf und behielt ihn im Blick. »Geht rein und holt eurem Chef eine frische Windel, Jungs.« Ich hielt den Kopf in dieser Stellung, als hätte ich einen Hexenschuss bekommen, und ließ seinen Blick nicht los, bis ich so weit entfernt war, dass er mir kein Springmesser mehr zwischen die Schulterblätter stoßen konnte, ohne eine große Nummer daraus zu machen.
    Hinter mir war kein Laut zu hören. Keiner wagte zu lachen. Niemand lacht, wenn er Zeuge einer Majestätsbeleidigung wird, jedenfalls nicht, bevor der König gegangen ist. Doch ich war unbescheiden genug zu vermuten, dass mein Auftritt mythische Dimensionen annehmen würde, wenn an einem blauschimmern­den Lagerfeuer irgendwo in der unfruchtbaren leeren Wüste der Fernsehzukunft einst die Chronik der Gang erzählt werden würde. Unten auf dem Weg sprang ich aufs Fahrrad und stand in den Pedalen: Der einsame Reiter kehrt zurück, dem Sonnenuntergang entgegen. Nur, dass es der einsame Reiter verflixt eilig hatte. Denn der einsame Reiter war … ich.

5
    Roar wartete an der Ecke, wo ich ihn zurückgelassen hatte. Er blickte mich mit unverhohlener Bewunderung an. Ich sprang vom Fahrrad, und wir gingen gemeinsam zu dem Hochhaus­block, in dem er wohnte,
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