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Dein bis in den Tod

Dein bis in den Tod

Titel: Dein bis in den Tod
Autoren: Gunnar Staalesen
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Psychopathen verriet, und ich bemerkte sofort die Angst und den Respekt, die ihn umgaben. Was vor einer halben Minute noch eine Ansammlung von Konfirmanden gewesen war, die ich dazu hätte bringen könne, mir das Vaterunser vorzubeten, war auf einen Schlag zu einer Gang geworden. Das unsichere Lächeln wich zusammengepressten, willensstarken Lippen. Die ängstlichen Augen wurden hart wie Kiesel. Die Zigarette des langen Labans zur Linken fand plötzlich Ruhe in seinem einen Mundwinkel und Tasse streckte den Bauch heraus und stemmte seine kleinen plumpen Hände in die Hüften.
    Er stellte sich nicht vor. Das war nicht nötig. Er wirkte irgendwie uninteressiert an der Situation und strahlte fast etwas Einschläferndes aus. Aber seine schmalen, blinzelnden Augen waren nicht schläfrig. Sie waren schwarz und wach wie bei einem Raubtier auf der Jagd.
    Er war dunkel, und sein Haar war aus der Stirn und glatt nach hinten gekämmt. Das gab ihm das Aussehen eines Pastors. Die Stirn war hoch und weiß. Seine Nase war ungewöhnlich schmal und dünn, fast wie ein Messer, als könnte er sie als Waffe benutzen, wenn er wollte. Sein Mund erinnerte an den von Elvis Presley. Die Oberlippe war in einem höhnischen Grinsen nach hinten gezogen, doch die Zähne darunter würde er nie auf einem Plattencover zeigen können, sie waren verfaulte Karikaturen ihrer selbst.
    Er trug enge, fast weiße Jeans und eine schwarze Lederjacke mit einer Menge glitzernder Reißverschlüsse. Sein Körper war von der angespannten, mageren Sorte. Besonders groß war er nicht, aber ich ging davon aus, dass er ziemlich fix mit dem Messer sein konnte, wie die meisten Leute seines Kalibers.
    Seine Stimme klang genau so, wie ich sie mir vorgestellt hatte, gespannt wie ein Stahldraht und so gefühlvoll wie eine gebrauchte Rasierklinge. Genau in dem Moment, als er anfing zu sprechen, verirrte sich ein nachmittagsgoldener Sonnenstrahl durch das Dach der Kiefernzweige und fiel ihm direkt ins Gesicht. Seine papierbleiche Haut färbte sich golden wie die eines Engels, und seine fülligen Lippen erschienen blutvoll und raffaelmäßig. Es war eine Illusion wie das meiste, auf das die Sonne ihre Strahlen wirft. Er sagte: »Was willst du hier, Opa?«
    Er brauchte sich nicht nach Applaus umzuschauen, er bekam ihn auf der Stelle. Ein dröhnendes Unisonogelächter brach die Stille des Waldes. Es war ein unschönes Gelächter, wie Teenager eben lachen.
    »Ich suche den Kindergarten. Aber jetzt habe ich ihn ja gefunden.« Ich konnte nicht den gleichen Charme entwickeln, denn ich hatte keine Lacher auf meiner Seite.
    Seine Zunge spielte zwischen seinen vergammelten Zahnstummeln. »Das Altenheim liegt aber da unten. Sollen wir dir vielleicht einen Rollstuhl besorgen?«
    Eine neue dröhnende Lachsalve. So etwas Witziges hatten sie noch nie gehört. Sie lachten sich fast tot.
    »Brauchst du denn einen?«, fragte ich und fügte, solange ich das Wort hatte, rasch hinzu: »Im übrigen wollte ich nach meinem Fahrrad sehen.«
    »Deinem Fahrrad?« Er blickte sich um, als entdecke er erst jetzt, dass er nicht allein dort stand. »Habt ihr ein Fahrrad gesehen, Leute?«
    Alle Clowns blickten sich um und grinsten. Alle schüttelten den Kopf, Der, den sie Tasse nannten, sah aus, als platze er gleich vor unterdrücktem Lachen. Joker sagte: »Schick lieber deine Tante, Opa, oder eine der Pflegerinnen aus dem Altenheim, dann sehen wir mal, was wir tun können in der … Angelegenheit.«
    Diesmal glaubte ich wirklich, sie würden sterben. Sie lachten so, als wollten ihnen die Eingeweide platzen, als feierten sie schon drei Tage lang mit Lachgas und hätten noch ein paar Behälter übrig. Ich spürte, wie dicht ich davor war, eine Rede zu halten.
    So bin ich. Wenn ich Angst habe, muss ich immer eine Rede halten. An der Schwelle des Todes werde ich stehen und eine Rede halten mit der Verzweiflung eines Schwulen, dem sie die Lobrede auf die Frauen aufs Auge gedrückt haben. An der Himmelspforte werde ich Petrus beschwatzen, bis ihm die Ohren abfallen und er mich an die Reklamationsabteilung im ersten Stock verweist.
    Ich fing an, machte zwei Schritte und nahm vor dem langen Lulatsch Aufstellung. Ich starrte ihm in die Augen und hoffte, dass mein Blick bei ihm Erinnerungen an die Steinbeißererlebnisse seiner Kindheit weckte. Und zu meiner Befriedigung sah ich, dass die Zigarette in seinem Mundwinkel zu zittern begann.
    »Ich sehe vielleicht auf den ersten Blick nicht so gefährlich aus«, sagte
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