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Gottes Werk und Teufels Beitrag

Gottes Werk und Teufels Beitrag

Titel: Gottes Werk und Teufels Beitrag
Autoren: John Irving
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    Der Junge, der nach St. Cloud’s gehörte Im Spital des Waisenhauses – in der Knabenabteilung von St. Cloud’s im Staate Maine – waren zwei Krankenschwestern damit betraut, den neugeborenen Babys Namen zu geben und nachzusehen, ob ihr kleiner Penis auch heilte. Zu jener Zeit (im Jahr 192–) wurden alle in St. Cloud’s geborenen Knaben beschnitten, weil der Arzt des Waisenhauses verschiedene Komplikationen gesehen hatte, die sich bei nichtbeschnittenen Soldaten ergaben, welche er im Ersten Weltkrieg medizinisch zu versorgen hatte. Der Arzt, der gleichzeitig Leiter der Knabenabteilung war, war kein religiöser Mensch; für ihn war die Beschneidung kein Ritus – sie war ein rein medizinischer Akt, vorgenommen aus hygienischen Gründen. Sein Name war Wilbur Larch, was eine der Schwestern, abgesehen von dem Ätherduft, der ihn stets umwehte, an das zähe, widerstandsfähige Holz jenes gleichnamigen Nadelbaumes erinnerte – der Lärche. Sie haßte den albernen Namen Wilbur und nahm Anstoß an der Albernheit, ein Wort wie Wilbur mit etwas so Wesentlichem wie einem Baum zu kombinieren.
    Die andere Schwester wähnte sich in Dr. Larch verliebt, und wenn es an ihr war, einen Namen für ein Baby zu finden, nannte sie es oft John Larch oder John Wilbur (ihr Vater hieß John) oder Wilbur Walsh (ihre Mutter war eine geborene Walsh). Trotz ihrer Liebe zu Dr. Larch konnte sie sich unter Larch – Lärche – nichts anderes vorstellen als einen Nachnamen – und wenn sie an ihn dachte, dachte sie bestimmt nicht an Bäume. Den Namen Wilbur liebte sie wegen seiner vielseitigen Verwendbarkeit, als Vor- und als Nachname, und wenn sie es leid war, den Namen John zu vergeben, oder wenn sie von ihrer Kollegin getadelt wurde, weil sie ihn überstrapazierte, verfiel sie selten auf etwas Originelleres als einen Robert Larch oder einen Jack Wilbur (sie schien nicht zu wissen, daß Jack ein häufiger Spitzname war für John).
    Hätte er seinen Namen von dieser einfältigen, liebesblinden Schwester bekommen, wäre aus ihm wahrscheinlich ein Larch oder ein Wilbur der einen oder anderen Sorte geworden; und ein John oder Jack oder Robert, um alles noch einfältiger zu machen. Weil die andere Schwester an der Reihe war, bekam er den Namen Homer Wells.
    Der Vater der anderen Schwester war Brunnenbauer von Beruf, eine harte, mühselige, ehrliche und präzise Arbeit – in ihren Augen bestand ihr Vater aus diesen Eigenschaften, was dem Wort »Wells« – Brunnen – eine gewisse Aura von Tiefe und Erdverbundenheit gab. »Homer« hatte eine der zahllosen Katzen ihrer Familie geheißen.
    Diese andere Schwester – von fast allen Schwester Angela genannt – wiederholte selten die Namen ihrer Babys, wogegen die arme Schwester Edna gleich drei John Wilbur junior und zwei John Larchs iii. ausgeteilt hatte. Schwester Angela kannte eine unerschöpfliche Zahl sachlicher Dingwörter, die sie eifrig als Nachnamen verwandte – wie Maple, Fields, Stone, Hill, Knot, Day, Waters (um nur einige aufzuzählen) – und eine kaum weniger eindrucksvolle Liste von Vornamen, entlehnt aus einer Familientradition vieler toter, aber in Ehren gehaltener Hauskatzen (Felix, Fuzzy, Smoky, Sam, Snowy, Joe, Curly, Ed und so fort).
    Bei den meisten Waisen waren die Namen, die ihnen die Schwestern verliehen, nur eine Übergangslösung. Die Knabenabteilung schnitt besser ab als die Mädchenabteilung, wenn es darum ging, die Waisen noch als Babys in Familien unterzubringen, wenn sie sich die Namen noch nicht merken konnten, die die guten Schwestern ihnen gegeben hatten; die meisten Waisen erinnerten sich später auch nicht an Schwester Angela oder Schwester Edna, die ersten Frauen auf dieser Welt, die sie bemuttert hatten. Dr. Larch hielt an dem Grundsatz fest, den Adoptiveltern der Waisen nicht die Namen mitzuteilen, die die Schwestern mit solchem Eifer verliehen. Man war in St. Cloud’s der Meinung, daß ein Kind, wenn es das Waisenhaus verließ, auch das Erregende eines neuen Anfangs erleben sollte – aber für Schwester Angela und Schwester Edna, und sogar für Dr. Larch, war es (vor allem bei solchen Jungen, die schwierig unterzubringen waren und länger in St. Cloud’s blieben) fast unvorstellbar, daß ihre John Wilburs und ihre John Larchs (ihre Felix Hills und Curly Maples und Joe Knots und Smoky Waters) nicht die von den Schwestern verliehenen Namen behielten.
    Der Grund, weshalb Homer Wells seinen Namen behielt, war, daß er so viele Male, nach so vielen
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