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Dein bis in den Tod

Dein bis in den Tod

Titel: Dein bis in den Tod
Autoren: Gunnar Staalesen
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und dass ich nicht gerade viel darstellte, wozu man aufschauen konnte. Ich war ein Privatdetektiv, Mitte Dreißig, ohne Ehefrau, ohne Sohn, ohne gute Freunde, ohne festen Partner. Ich wäre ein Erfolg in der Partei der Einsamen gewesen, doch nicht einmal die hatten mich gefragt.
    Immerhin hatte ich ein Auto. Es hatte wieder einmal einen Winter überlebt und ging seinem achten Frühling entgegen. Und es lief, immer noch, auch wenn es Startprobleme hatte, besonders bei plötzlichen Wetterumschwüngen. Wir stiegen ein, und nach ein paar Minuten handfester Diplomatie waren wir in Gang. Roar schaute mit großen Augen zu, wie mein Mund die schrecklichsten Flüche formte, ohne einen Ton von sich zu geben. Darin bin ich immer gut gewesen: Ich fluche selten in Gegenwart von Frauen und Kindern. Vielleicht mag mich deswegen niemand. Mitten auf der Puddefjordbrücke standen wir plötzlich im Stau. Es war, als wären wir auf dem Scheitelpunkt eines verblassten Regenbogens angehalten worden. Draußen zu unserer Rechten lag Askoy wie eine Haut zwischen dem blassgrauen Himmel und dem schwarzgrauen Wasser. Die Lichter begannen an den Berghängen dort draußen wie kleine Notleuchten aufzuflammen. Zu unserer Linken, im Innersten von Viken, lag das Skelett von etwas, das – wenn Gott und die Schifffahrtskonjunktur es wollten – ein Schiff werden sollte. Ein riesiger Kran schwenkte seinen Arm drohend über dem Skelett, wie eine Vorzeitechse, die einen gefallenen Dinosaurier verspeist. Es war einer dieser Spätwinternach­mittage, an denen Tod in der Luft liegt, egal wohin du dich wendest.
    Ich sagte: »Jetzt erzähl mir mal von deinem Fahrrad und von deiner Mutter und von Joker und seiner Gang. Und sag mir, was ich eigentlich für dich tun soll.«
    Ich lächelte ihn von der Seite aufmunternd an. Er versuchte zurückzulächeln, und ich kenne nichts Rührenderes als kleine Kinder, die zu lächeln versuchen und es nicht hinbekommen. Die Geschichte war offenbar gar nicht so einfach zu erzählen.
    Er sagte: »Letzte Woche haben sie das Fahrrad von Petter genommen. Er hat auch keinen Vater.«
    »Ja?«
    Die Schlange setzte sich langsam wieder in Bewegung. Ich folgte automatisch den roten Bremslichtern vor mir. Er fuhr fort: »Joker und seine Gang … sie sind … sie haben eine Hütte oben im Wald hinter den Hochhausblocks.«
    »Eine Hütte?«
    »Ja, und sie haben sie nicht einmal selbst gebaut. Das haben andere gemacht. Aber dann sind Joker und seine Gang gekommen und haben die anderen weggejagt. Und jetzt wagt sich keiner mehr dahin. Aber dann …«
    Hinter Laksevåg folgten wir der Hauptstraße. Zu unserer Rechten, jenseits des Puddefjords, lag Nordnes wie eine Hundepfote im Fjord.
    »Ja, dann …«, sagte ich.
    »Wir hatten schon vorher gehört, dass sie so was machten. Dass sie eins von den großen Mädchen nahmen … also gefangen und in die Hütte gebracht haben … und Sachen mit ihr machten. Aber das war ja mit Mädchen – nicht mit Müttern! Und dann haben sie dem Petter sein Fahrrad gestohlen, und da ist Petters Mutter raufgegangen, um sein Fahrrad zu holen, und dann … dann ist sie nicht wieder runtergekommen.«
    »Ist sie nicht wiedergekommen?«
    »Nein. Wir haben da gestanden und über zwei Stunden gewartet. Petter und Hans und ich. Und Petter hat geweint und gesagt, jetzt hätten sie sicher seine Mutter umgebracht, und sein Vater wäre zur See gegangen und nie wieder nach Hause gekommen und …«
    »Aber seid ihr nicht … konntet ihr nicht andere Erwachsene rufen?«
    »Wen denn? Petter und Hans und ich haben keinen Vater, und der Hausmeister jagt uns nur immer weg, und der Polizist Hauge genauso, und der doofe Jugendbetreuer sagt immer nur, wir sollen reinkommen und Mensch ärgere dich nicht oder so spielen. Und dann ist seine Mutter wieder runtergekommen. Aus dem Wald. Und das Fahrrad hatte sie mit. Aber ihre Kleider waren zerrissen und schmutzig und sie … sie hat geweint, dass alle es gesehen haben. Und hinter ihr kamen Joker und seine Gang und schrien und lachten. Und als sie uns sahen, kamen sie angelaufen, und dann sagten sie – sodass die Mutter und alle es hören konnten –, wenn sie zu irgendjemand etwas sagte, würden sie Petter was abschneiden … dann würden sie was ganz Schreckliches mit Petter machen!«
    »Aber … ist denn weiter nichts mehr passiert?«
    »Nein. Keiner wagt es, etwas gegen Joker und seine Gang zu machen. Einmal hat der Vater von einem Mädchen sich Joker geschnappt, als er allein war, vor
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