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Dein bis in den Tod

Dein bis in den Tod

Titel: Dein bis in den Tod
Autoren: Gunnar Staalesen
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der Maschinenraum und eine Reihe von Ventilen. Am Rand hatte es eine fünfzig Zentimeter hohe Betonkante: hoch genug, dass man darüber rollen und den weiten Weg auf den Asphalt da unten nehmen konnte, und bei Weitem nicht hoch genug, als dass nicht jemand einen hinunterstoßen konnte.
    Ich sah, dass Gunnar Våge ziemlich mitgenommen war. Er kam mit steifen Beinen auf mich zu gestolpert und hielt krampfhaft die Eisenstange umklammert, als sei sie das Einzige, was er auf der Welt hatte. Das war ja auch so, im Grunde genommen, jedenfalls war sie das Wichtigste – im Moment. Genau diese Eisenstange konnte der kleine Punkt sein, der zwischen ihm und mir, zwischen erster und zweiter Liga unterschied – und zwischen Leben und Tod.
    Ich rappelte mich hoch auf die Knie, stand auf und schüttelte den Kopf. »Ich fasse es nicht!«, stöhnte ich. »Ich versteh’s einfach nicht. Was wolltest du erreichen? Was war der Sinn?«
    »Es gibt keinen Sinn. Es gibt nur Handlung«, schnarrte er. »Du kommst an einen Nullpunkt, einen toten Punkt, und alles um dich erstarrt, und es gibt nur noch eines zu tun: handeln.«
    »Und schnipp – und der Idealist wird zum Faschisten?«, hörte ich meine eigene, lispelnde Stimme.
    Er antwortete nicht, sondern machte einen überraschenden Vorstoß, fast wie ein Karatekämpfer. Er trat einen Schritt vor, pflanzte beide Beine fest in die Teerpappe, umfasste die Stange mit beiden Fäusten und kam auf mich zu.
    Ich war noch in der Lage, mich zu bewegen, und zum zweiten Mal kollidierte meine rechte Schulter mit der lebensgefährlichen Eisenstange. Zum zweiten Mal war mir, als würde mir die Schulter abgerissen, als würde mein ganzer Körper in zwei geteilt. Es war wie ein akuter Hirnschlag und ich hatte nur noch eine einzige Chance zu überleben: die dreckigsten Tricks, die rohesten Ausfälle.
    Ich tauchte unter ihn, trat ihn in den Unterleib und schlug blind mit meiner beweglichen linken Hand gegen die Hand, mit der er die Eisenstange hielt. Ich traf seinen Arm an der Innenseite, direkt über dem Handgelenk. Der Arm schwang nach oben, die Hand öffnete sich vor Schmerz und die Eisenstange wurde in einem Bogen durch die Luft und gegen die Betonkante geschleudert und verschwand dann lautlos in der Dunkelheit. Wenn jetzt jemand seinen Hund ausführte, dann kam er vielleicht mit einem aufgespießten Hot Dog nach Hause oder mit einer Fahnenstange auf dem Kopf.
    Er schlug mit der anderen Hand zu und traf mich am Ohr. Es klirrte infernalisch im Ohrgang, als würde ein Blechblasor­chester dort unbeschreibliche Orgien feiern.
    Dann gingen wir in den Clinch. Im Nieselregen und mit den Sternen und dem Lyderhorn als einzigen Zuschauern tanzten wir einen seltsamen Paartanz, wie zwei alte Kampffüchse, wie alternde Boxer auf dem Hinterhof des Altersheims. Wir schlugen einander mit müden Fäusten auf den Rücken, versuchten dem anderen mit den Oberarmen den Hals zuzudrücken, versuchten die Augen des anderen mit stumpfen Fingern zu finden. Eins-zwei, cha-cha-cha; eins-zwei, cha-cha-cha!
    Wie zwei enttäuschte Freier wurden wir wieder zurückgesto­ßen, schlugen Löcher in die Luft und taumelten nach hinten. Ich fiel. Er kam wackelig auf mich zu. Ich blieb liegen. Er trat matt nach mir.
    Dann blieb er stehen und betrachtete mich. Seine Augen waren glasig und leer, wie in dreckigen Marmor eingeritzt und mit Emaille ausgemalt. Er hatte etwas Fiebriges und Aufgeregtes, etwas Besessenes an sich. Aus einem Mundwinkel tropfte Blut und er hatte heftige Schürfwunden an der Stirn. Sein einer Arm hing ausgekugelt herunter. Er atmete schwer und erinnerte mehr und mehr an ein Gespenst.
    Aber ich wusste, dass ich nicht besser aussah – und ich lag, während er noch immer in der Lage war, sich aufrecht zu halten. Heiligabend für alte Sparringpartner. Fröhliches Knockout!
    »Aber warum, Våge, warum?«, krächzte ich ihm zu.
    »Warum was?«, tönte es metallisch zurück.
    »Warum hast du sie umgebracht?«
    Er explodierte mit ungeheurer Wut. »Diese Schlangenbrut! Er hat mich bedroht!« Dann wurde er ruhiger, und er sagte fast unhörbar: »Er – er wollte mich da oben treffen. Sagte, er wüsste – von Wenche und mir, hätte mich gesehen – wenn ich sie besucht habe. Er wüsste, warum ich – ihren Mann umgebracht hätte. Er – das war idiotisch, total verrückt – er drohte mir. Ich sagte: Okay. Ich werde raufkommen, Johan. Ich komme allein, aber ich habe kein Geld dabei. Er wollte Geld, verstehst du?« Er starrte mich
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