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Dein bis in den Tod

Dein bis in den Tod

Titel: Dein bis in den Tod
Autoren: Gunnar Staalesen
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Ich strengte meine Ohren aufs Äußerste an und ahnte mehr, als dass ich sie hörte, seine Atemzüge ungefähr am anderen Ende des Raumes. Aber ich kannte den Raum nicht, wusste nicht, was zwischen uns war. Er kannte ihn wahrscheinlich wie seine Westentasche. Jedenfalls war er schon hier gewesen und er wusste, wo sich die Fahrstuhlmaschinerie befand und wo die Winde wie eine hinterhältige Falle in die Dunkelheit ragte.
    Ich hätte eine Waffe haben sollen, aber ich hatte nichts weiter als eine Taschenlampe und mich selbst und mein einer Arm war alles andere als in Ordnung, obwohl er langsam wieder funktionierte. Die Schulter tat mir weh und ich befürchtete, dass das Schlüsselbein gebrochen war.
    Jetzt hörte ich ihn!
    Ich hörte deutlich, wie er im Dunkeln das Gewicht verlagerte und ich nahm an, dass er sich auf einen neuen Angriff vorbereitete.
    Es geschah alles gleichzeitig. Ich zielte mit der Taschenlampe in die Richtung des Geräuschs und schaltete sie ein. Er griff an.
    Der Lichtkegel traf ihn mitten ins Gesicht und machte es blass, verzerrt und gespenstisch. Er kam auf mich zu, die Eisenstange über dem Kopf schwingend wie ein tödliches Karussell. Ich duckte mich und rammte ihm meinen Kopf in den Bauch. Ich traf die Gürtelschnalle, die ein Stück von meiner Stirn abriss. Er brach über mir zusammen, behielt aber die Eisenstange in der Hand und schlug mich an die Innenseite des Schienbeins, sodass ich vor Schmerz aufschrie. Besessen vor Wut oder in Panik streckte ich mich in die Höhe, die Arme um sein eines Bein geschlungen, und schleuderte ihn nach hinten gegen die Wand. Ich hörte, wie er seitlich aufprallte, die Eisenstange verlor, auf den Boden fiel, und wie er nach ein paar Sekunden an der Wand entlang kroch, wie eine erschrockene Ratte.
    Dann wurde es wieder still. Fast. Ich hörte seinen keuchenden Atem und meine eigenen unterdrückten Schmerzenslaute. Mir war übel.
    Die Eisenstange hatte er verloren und ich war möglicherweise besser in Form als er. Ich musste ihn finden.
    Aber es war dunkel und ich hatte die Taschenlampe verloren.
    Ich machte einen Schritt nach vorn in die Dunkelheit, erreichte die Wand, folgte ihr seitwärts in die Richtung, in die er verschwunden war.
    Ich trat auf sein Bein. Er zerrte es frei und trat nach mir. Er traf mich am Knie und ich wäre beinah hingefallen, aber ich verlor nur das Gleichgewicht, während er sich gleichzeitig wieder aufrichtete. Etwas Hartes und Knorriges traf mich mitten im Gesicht. Er hatte gut getroffen und ich kaute auf Notraketen, fallenden Sternen und aufsteigenden Feuerwerkskörpern, ich mümmelte Mondraketen und Satelliten und zersprengte Tauben …
    Ich lag auf dem Boden und schlief, mindestens ein paar Sekunden lang, und ich träumte, dass er durch die Dunkelheit ging und nach seiner Eisenstange suchte. Ich erinnere mich, dass ich dachte: Du musst aufwachen, Grapefruit, du musst aufwachen!
    Und ich wachte rechtzeitig auf und rollte mich automatisch zur Seite. Er fluchte wild, als die Eisenstange den Betonboden traf, wo ich gelegen hatte. Dann war er über mir. Die Eisenstange traf meine Brust und ich krümmte mich in gnadenloser Angst zusammen, krümmte mich um mich selbst, um mich zu schützen. Er schlug wieder zu, auf einen Arm, dann auf den Rücken, näher am Kopf jetzt. Ich streckte mich aus und hechtete weiter in die Dunkelheit. Ich traf auf etwas Hartes, Metallisches. Es konnte die Maschine sein oder eine Tür. Er atmete schwer hinter mir, schwang die Eisenstange durch die Dunkelheit. Panisch suchte ich nach dem Türgriff, wenn es denn eine Tür war. Es war eine. Ich fand den Griff, zog die Tür auf und taumelte hinaus, darauf vorbereitet, kopfüber eine steile Betontreppe hinunterzufallen. Aber da war keine Treppe. Es war eine große, schwarze Öffnung, hoch oben waren Sterne, und ein Schleier von frischem, feuchtem Nieselregen gemischt mit taufrischer Luft traf mein Gesicht.
    Ich war auf dem Dach. Es war flach, mit Teerpappe gedeckt und glatt vom Nieselregen. Ich machte zwei Schritte, dann gaben meine Beine unter mir nach und ich fiel um. Hinter mir sah ich Gunnar Våge auf das Dach kommen, mit der Eisenstange in der Hand. Seine Glatze glänzte, sein lockiges Haar war zerzaust, und er erinnerte kaum noch an den idealistischen Jugendbetreuer. Er erinnerte mich nur an den Tod. An den schlimmsten aller Tode, meinen eigenen.
     
    Ein paar Sekunden lang stand alles still. Ich sah mich um. Das Dach war flach. Das einzige, was aufragte, war
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