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Dein bis in den Tod

Dein bis in den Tod

Titel: Dein bis in den Tod
Autoren: Gunnar Staalesen
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fast bittend an.
    Der Nieselregen ging langsam in Regen über. Er war angenehm kühl im Gesicht.
    Er fuhr fort: »Also ging ich rauf. Und er wollte Geld. Aber ich hatte kein Geld und ich hatte nicht vor, ihm eine einzige Öre zu bezahlen. Ich – wo ich doch – ich hatte ihm geholfen, hatte ihn beschützt, ihn verteidigt! Ich wollte ihm wirklich helfen, Veum, und er zog das Messer gegen mich. Wir kämpften um das Messer. Er – verlor. Ich meine, ich wollte das nicht, aber es wurde so heftig, es ging so schnell, und plötzlich – plötzlich lag er da und war – tot. Erst da begriff ich …« Er hob das Gesicht zum Himmel, wusch es im Regen. »Es war Notwehr.«
    Ich kaute die Worte wie zerdrückte Apfelsinenkerne zwischen den Zähnen hervor: »Notwehr? Dann war es bei Jonas Andresen vielleicht auch Notwehr?«
    »Jonas Andresen?« Er starrte mich an.
    »Jonas Andresen! Liest du keine Zeitungen, Mann? Liest du nicht nach, wie sie heißen, die du umbringst?«
    »Aber hast du denn überhaupt nichts begriffen? Ich habe sie geliebt! Ich habe sie seit elf Jahren geliebt, Veum! Es gab nur noch sie, nach den zwei Monaten 1967. Sollte ich ihr etwa etwas Böses wünschen? Wie hätte ich ihr – ihr wehtun können? Du weißt nichts von der Liebe, Veum, wenn du so was sagen kannst! Was du Liebe nennst, sind Zeichnungen an der Wand oder wohl eher Bilder in einem Buch. Ich – ich wollte ihr übers Haar streichen, sie küssen, mit ihr schlafen. Aber ich hätte niemals jemanden umgebracht, den sie liebte. Denn sie hat ihn ja geliebt. Das war doch das Schlimmste, sie hat ihn so hoffnungslos und sinnlos geliebt, wie ich sie.«
    »Also hast du gedacht, wenn du – ihn entferntest, dann …«
    Er machte fünf, sechs müde Schritte über die Teerpappe und platzierte die eine Schuhsohle direkt in meinem Gesicht. Ich lag da und ließ es geschehen, diensteifrig wie ich bin. Mein Hinterkopf traf das Dach unter mir, und mein Gesicht fühlte sich an wie frischgegossener Asphalt, auf den ein gedankenloser Junge tritt. Ich biss mir auf die Zunge und spürte, wie sich mein Mund mit warmem, dickflüssigem Blut füllte.
    »Nein, zum Teufel!«, zischte er über mir. »Ich habe ihn nicht umgebracht!« Er legte den Kopf in den Nacken und heulte wie ein Werwolf einen unsichtbaren Mond an. »Ich habe Jonas Andresen nicht umgebracht! Hört ihr?«
    Er beugte sich zu mir herunter und griff meinen Jackenaufschlag. Mit seinen letzten Kräften zog er mich hoch und schlug mir die Stirn ins Gesicht. Ich blieb zwischen seinen Fäusten hängen. Er taumelte nach vorn und zog mich mit sich. Ein oder zwei Meter von der Betonkante entfernt blieben wir beide liegen.
    Er kam auf die Knie und begann, mich zur Kante zu ziehen. »Aber bei allen Göttern«, hörte ich ihn murmeln. »Ich werde Varg Veum umbringen, und wenn es das Letzte ist, was ich tue.«
    »Das ist es«, versuchte ich es auf die witzige Tour. Dann biss ich die Zähne zusammen und richtete mich auf. Jetzt war ich es, der stand, und er lag auf den Knien. Er sah mit einem zugleich bittenden und hasserfüllten Blick zu mir auf. »Elf Jahre, Veum«, jammerte er. »Nichts. Keine Liebe, keine Freude. Nur Hass und Misstrauen und endlose Langeweile. Und dann ein Traum. Und ich habe sie aufgespürt, hier draußen. Und ich nahm diesen Job an, hier draußen, um in ihrer Nähe zu sein, nur um da zu sein, wo sie war, das Leben vorbeiziehen lassen, wie eine große Amerikafähre am Horizont, aber jedenfalls im Ruderboot zu sein und langsam an der Küste entlangzutreiben, wo sie lebte – verstehst du?«
    »Ich verstehe gar nichts«, sagte ich.
    Es regnete immer stärker. Wir waren völlig durchnässt und der Regen wusch uns das Blut ab. Wir waren nur zwei zerzauste, zerschlagene Jungs am Ende eines gefährlichen Spiels, am Rande eines Abgrunds.
    Er streckte sich zu meiner Kehle, griff um meinen Hals und zwang mich zur Betonkante. Ich ging wacklig rückwärts, fühlte die Tiefe direkt hinter mir, spürte den Sog der Leere. Ich faltete die Hände und schlug ihm mit aller Kraft in den Nacken. Er erlosch an meinem Körper, und ich fiel nach hinten. Ich fühlte die Kante der Betonwand im Kreuz, fühlte ein paar Sekunden, dass ich wippte wie eine Waage: für/wider, ja/nein, Leben/Tod … Dann kroch ich panisch auf das Dach zurück.
    Er erhob sich von der Teerpappe – wie Phönix aus der Asche. Ich ballte die Fäuste und schlug ihn nieder. Sein Blick war jetzt noch glasiger.
    Noch einmal stand er wieder auf, stand da mit
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