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Dein bis in den Tod

Dein bis in den Tod

Titel: Dein bis in den Tod
Autoren: Gunnar Staalesen
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Varg, hat jemand etwas mit deinem Gesicht angestellt.« Und sie hatte mich forschend angesehen, wie um sich zu versichern, dass ich es auch wirklich war, der sich hinter dem Ganzen verbarg.
    Nachdem alle sich gesetzt hatten, entstand eine gespannte Stille, eine abwartende, dichte Atmosphäre, als warteten alle darauf, dass irgendjemand die Stille plötzlich mit einem Schrei unterbrechen oder aufstehen und ein Rad schlagen würde oder etwas anderes Unerwartetes und Verrücktes täte. Alle warteten darauf, dass Jakob E. Hamre die Vorstellung eröffnete.
    Nach einer Weile sahen wir ihn alle an: Paulus Smith in froher Erwartung, Wenche Andresen verzagt und angespannt, ich mit einem grummelnden Unbehagen.
    Dann streckte Jakob E. Hamre eine schmale Hand aus und schaltete mit langen, schlanken Fingern den Kassettenrecorder ein.
    Mit leiser, monotoner Stimme erzählte er, wo wir uns befanden, welcher Tag und welche Uhrzeit es war, und wer anwesend war. Dann machte er eine kurze Pause, wandte sich direkt an Wenche Andresen und sagte: »Wir haben soeben Gunnar Våge verhaftet.«
    Alle Blicke richteten sich auf sie. Wir sahen, wie der kurze Satz in sie eindrang, in ihr kehrtmachte und durch die Augen wieder herauskam. Ihre Augen wurden groß und unter der Nase wurde der Mund zu einem runden Kreis. Das einzige, was herauskam, war ein gedehnter Seufzer. Sie sah verwirrt von einem zum anderen, als suche sie nach einer Erklärung, einem Trost, nach irgendetwas. Aber wir waren drei Männer und wir sagten nichts. Wir sahen nur zu, wie die Worte eindrangen, wie ihr deren Bedeutung aufging, sahen die plötzlichen, stummen Tränen aus ihren Augen laufen.
    »Gunnar?«, sagte sie.
    Pause.
    »Hat er …«
    »Er hat Johan Pedersen umgebracht«, sagte Hamre.
    Sie sah ihn verständnislos an. »Wen?«
    »Joker«, sagte ich. »Heute Abend.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Hat er Joker umgebracht – heute Abend? Aber – und was ist mit Jonas? Warum sollte er … Ich kann nicht fassen, wieso …«
    »Wie gut kannten Sie Gunnar Våge, Frau Andresen?«, unterbrach Hamre sie. Seine Stimme war fest und angenehm. Er war gleichbleibend liebenswürdig, aber unter dem Firnis war ein Kern von Ungeduld zum Vorschein gekommen, ein Hauch von Rastlosigkeit.
    »Ich …«, begann sie. Dann biss sie sich auf die Lippen und errötete. Die Wärme durchschoss sie und sie sah so schuldbewusst aus wie wir alle, wenn wir erröten.
    Ich starrte sie an, aber sie sah nicht zu mir.
    »Schon sehr lange«, antwortete sie zögernd.
    »Wie lange?«, fragte er.
    »Wir waren zusammen, das muss ungefähr 1967 gewesen sein, glaube ich. Nur ein paar Monate oder so, bevor ich Jonas kennen lernte …« Ihr Mund straffte sich um seinen Namen, als wolle sie ihn festhalten, ihn für immer einfangen.
    »Und später?«, fuhr Hamre hartnäckig fort.
    »Später …« Sie befeuchtete ihre Lippen mit der Zungenspitze. »Wir – ich habe ihn wiedergetroffen – da draußen. Eines Tages, zufällig, auf der Straße. Er sprach mich an. Kennst du mich denn nicht mehr, Wenche?, sagte er, und ich musste ihn ansehen. Er hatte eine Menge Haare verloren, aber ich erkannte ihn natürlich wieder.« Sie hielt inne und starrte auf ihre ineinander verflochtenen Finger.
    »Und dann?«, fuhr Hamre fort.
    Sie sah zu ihm auf. In gewisser Weise waren nur sie beide im Raum. Paulus Smith, ich selbst und die Polizistin waren zu Kulissen verblasst, zu Statisten im Kammerspiel zwischen Hamre und ihr. Sie kreuzten die Klingen mit Blicken, sahen sich fast herausfordernd in die Augen.
    »Sie nahmen die Beziehung wieder auf?«, fragte Hamre.
    »Wir nahmen die Beziehung wieder auf«, wiederholte sie sarkastisch. »Das klingt nach einer Geschäftsvereinbarung oder so was. Ja, wir nahmen die Beziehung wieder auf, aber nicht sofort, erst nach einer Weile. Er erzählte – er erzählte mir, dass er mich gesucht hatte, dass er nur dorthin gezogen war, dort einen Job angenommen hatte, um in meiner Nähe zu sein, mich vielleicht wiederzutreffen. Das – das hat mich beeindruckt.«
    »Das kann ich verstehen.«
    »Ach ja? Können Sie das? Ich – ich hatte längst gespürt, wohin es führen würde, mit Jonas und mir. Und ich hatte ein Bedürfnis nach Zärtlichkeit, nach Liebe. Ich liebte Jonas, wie ich ihn auch heute noch liebe, wie ich ihn lieben werde, bis ich sterbe, auch wenn er schon tot ist. Das – zwischen Gunnar und mir – das war etwas anderes. Ich meine, es war ebenfalls recht einseitig, wie die Beziehung zwischen mir
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