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Dein bis in den Tod

Dein bis in den Tod

Titel: Dein bis in den Tod
Autoren: Gunnar Staalesen
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wackelndem Kopf. Aber er hätte mich um Haaresbreite in den Abgrund gestoßen, also schlug ich ihn noch einmal nieder.
    Dann ließ ich ihn liegen.
    Wieder lief Blut aus seinem Mundwinkel, als ich ihn zum Maschinenraum fast hinter mir herzog, hinein und in Sicherheit. Er lallte fast, während ich ihn zog: »Ich habe Jonas Andresen nicht umgebracht, Veum. Ich habe ihn nicht umgebracht …« Tränen liefen aus seinen Augen und vermischten sich mit Blut und Regen.
    Als ich ihn über die Türschwelle zog, schrie er, als sei es der Eingang zum Hades: »Dafür sollst du in der Hölle brennen, Veum. Du sollst brennen!!!«
    Ich hörte meine eigene Stimme sagen: »Erzähl das der Polizei. Die werden da unten als Türsteher eingesetzt.«

51
    Jakob E. Hamre sagte nicht viel im Auto auf dem Weg zurück in die Stadt. Einmal wandte er mir das Gesicht zu und sagte brüsk: »Bist du dir darüber im Klaren, was wir mit dir gemacht hätten, wenn du nicht Våge dabeigehabt hättest?«
    Ich antwortete nicht. Und er erzählte mir nicht, was sie mit mir gemacht hätten. Das sparte er sich für ein andermal auf.
    Als wir auf der Polizeiwache ankamen, sagte Hamre zu einem der anderen Polizisten: »Treibt Paulus Smith auf. Bittet ihn, herzukommen, so schnell wie möglich.« Zu mir sagte er: »Du wartest hier, bis Smith kommt. Wir statten deiner Freundin einen Abendbesuch ab, also ist es wohl am besten, wenn du mitkommst, sonst kriegen wir heute Nacht wohl keinen Schlaf mehr, was?«
    Ohne auf eine Antwort zu warten, verschwand er in einem Fahrstuhl und fuhr in höhere Etagen.
    Ich blieb in der Vorhalle stehen. Draußen fuhren Menschen mit Abendgesichtern in Autos mit Licht, oder sie saßen aufgereiht in langen, gelben Bussen und starrten durch glänzende Fensterscheiben, wie unbekannte Gesichter einen aus einem Fotoalbum anschauen.
    Paulus Smith kam nach zwanzig Minuten, mit dem Taxi. Er trat mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck auf mich zu, ergriff meine Hand mit beiden Händen und sagte: »Phantastische Arbeit, Veum. Ich höre, du hast einen Mörder für uns gefunden.«
    »Er hat mich gefunden«, sagte ich. »Und leider fand er auch zuerst ein neues Opfer.«
    »Was?«, sagte er bestürzt.
    Ich erzählte ihm, was geschehen war, während wir darauf warteten, dass Jakob E. Hamre wieder aus den höheren Etagen zurückkam. Je mehr ich erzählte, desto bestürzter sah er drein. Als ich gerade fertig war, ging die Fahrstuhltür auf und Hamre trat heraus. »Guten Abend, Smith«, sagte er formell. »Sie ist im Besuchsraum. Wir werden erwartet.«
    Ohne ein weiteres Wort gingen wir in den Keller, die Treppe hinunter, die die Seligen von den Unseligen trennt.
     
    Wir waren fünf Menschen in dem nackten Besuchsraum: zwei Frauen und drei Männer.
    Wenche Andresen saß allein auf der einen Längsseite des Tisches, Paulus Smith und Jakob E. Hamre saßen auf der anderen. Ich setzte mich an die Ecke neben sie, und die Polizistin saß auf einem Sprossenstuhl neben der Tür. Auf dem Tisch vor Hamre stand ein Kassettenrecorder, klar zur Aufnahme.
    Wenche Andresen wirkte noch angespannter als beim letzten Mal. Ihre Haut lag noch straffer über dem Gesicht, die Augen glänzten noch fiebriger. Sie hatte die Hände auf dem Tisch vor sich gefaltet, und ich konnte sehen, wie ihre Muskeln unter der Haut spielten, wie sie die Hände zwang, ruhig zu liegen, ineinander verstrickt, wie zwei ermattete Ringer.
    Paulus Smith sah aus, als sei er mitten in einer Schnapsrunde gestört worden. Seine Haut glühte rot, und sein Blick hatte etwas Aufgeregtes, als sei er noch immer nicht über die letzte gute Geschichte, die er gehört hatte, hinweggekommen. Sein weißes Haar gab ihm eine Aura von Reinheit, Rechtschaffenheit und Unfehlbarkeit. Eine wunderbare Verkleidung für einen Rechtsanwalt.
    Jakob E. Hamre erinnerte mich an einen jungen Staatsrat, einen Menschen, der alle Karten in der Hand hält, klar zum Einsatz in einer TV-Debatte, die Tausende von Menschen im ganzen Land fesseln würde. Er wirkte selbstsicher und souverän.
    Die junge Polizistin sah aus wie ein gestrichenes Kapitel in einem schlechten Roman. Sie hatte ihr Haar straff im Nacken zusammengebunden und ein Gesicht, das nicht genügend Mut dazu hatte, so nackt zu sein. Während der ganzen Veranstaltung starrte sie gerade vor sich hin und bewegte ihren Blick keinen Zentimeter.
    Ich selbst sah sicher nicht besonders gut aus. Als ich Wenche Andresen die Hand gab, hatte sie gesagt: »Jedes Mal, wenn ich dich sehe,
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