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Dead Man's Song

Dead Man's Song

Titel: Dead Man's Song
Autoren: Troll Trollson
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Mann anrufen müssen. »Bob, Liebling, mein Vater ist tot.« Sie werden die Beerdigungsvorbereitungen treffen müssen, sie müssen einen Sarg aussuchen, seine Freunde benachrichtigen, aber wer zum Teufel sind seine Freunde? Auch ihre Mutter, sie wird sie anrufen müssen, seit fünf Jahren geschieden, und sie wird sicher sagen: »Gut, das freut mich!« Aber zuerst die Polizei. Sie ist sicher, daß die Polizei bei einem Selbstmord benachrichtigt werden muß. Sie hat mal irgendwo gelesen oder gesehen, daß man die Polizei rufen muß, wenn man seinen Vater an einem Haken und mit heraushängender Zunge vorfindet. Plötzlich bricht sie in hysterisches Gelächter aus. Sie preßt eine Hand auf den Mund und lugt über ihren Rand wie ein kleines Kind und lauscht mit weit aufgerissenen Augen und voller Angst, daß jemand hereinkommt und sie bei dem Toten antrifft.
    Sie wartet mehrere Sekunden lang. Ihr Herz schlägt wild in der Brust, und dann geht sie zum Telefon und will gerade 911 wählen, als ihr etwas einfällt. Etwas taucht plötzlich ungefragt in ihrem Geist auf. Sie erinnert sich an den Schließfachschlüssel in dem kleinen schwarzen Lederetui, und ihr fällt gleichzeitig ein, daß ihr Vater ihr erklärt hat, daß sich in dem Schließfach neben anderen Dingen wie seiner silbernen Medaille, die er als Sieger in einem Laufwettkampf auf der High-School erhalten hat, auch eine Versicherungspolice befindet. Viel ist es nicht, hat ihr Vater ihr erzählt, aber du und Bob, ihr seid die Nutznießer, daher vergiß nicht, daß es sie gibt. Sie erinnert sich auch daran, irgendwo gehört oder gelesen oder im Fernsehen oder im Kino gesehen zu haben - heute kriegt man ja so viele Informationen - also, sie erinnert sich daran, daß, wenn jemand Selbstmord begeht, die Versicherung die Lebensversicherung nicht auszahlt.
    Sie weiß nicht, ob das stimmt, aber angenommen, es ist so? Sie hat auch keine Ahnung, wie hoch er sich versichert hat, viel wird es nicht sein, er hat eigentlich nie nennenswert viel Geld besessen. Aber angenommen, die Versicherung beläuft sich auf hunderttausend Dollar oder auch nur fünfzig oder zwanzig oder zehn? Wen interessiert das schon. Soll die Versicherungsgesellschaft die Prämie behalten, für die er all die Jahre eingezahlt hat? Nur weil irgend etwas ihn so sehr bedrückte - was zum Teufel hat dich so bedrückt, Dad? -, daß er sich selbst erhängen mußte? Sie denkt, daß das nicht fair ist. Nein, das ist wirklich nicht fair.
    Andererseits…
    Angenommen…
    Nur einmal angenommen…
    Nur mal angenommen, er ist im Schlaf an einem Herzinfarkt oder an was auch immer gestorben? Nur mal angenommen, derjenige, der den Totenschein ausstellen muß, findet ihn tot im Bett, eines natürlichen Todes gestorben. Dann gäbe es keine Probleme mit der Versicherungsgesellschaft, und sie und Bob würden kassieren können, was die Versicherung wert war. Sie läßt sich das kurz durch den Kopf gehen. Sie ist erstaunlich ruhig. Sie hat sich mittlerweile an die Stille im Apartment gewöhnt und an ihren Vater, der dort reg- und leblos hängt. Sie schaut auf die Uhr. Es ist Viertel vor zehn. Ist sie erst seit zehn Minuten in der Wohnung? Wirklich nur so kurz? Ihr kommt es wie eine Ewigkeit vor.
    Sie denkt, daß sie ihn abnehmen und zum Bett tragen muß.
    Sie nähert sich wieder der Leiche. Blickt in die toten grünen Augen ihres Vaters, studiert die Poren seines Gesichts, die winzigen Blutflecken, die häßlich herausragende Zunge. Sie rafft allen Mut zusammen, den sie braucht, um ihn zu berühren. Sie denkt, wenn sie so dicht vor dem Tod stehen kann, ohne sich zu übergeben oder sich zu besudeln, wird sie ganz sicher auch in der Lage sein, ihn zu berühren und zu bewegen.
    Der Stoff um seinen Hals sieht aus wie der Gürtel des Bademantels. Sie sieht, daß ihr Vater die Enden verknotet hat, so daß sie eine Schlinge bilden, und diese Schlinge hat er sich über den Kopf gestreift und um den Hals gelegt. Er muß einen Hocker oder etwas anderes benutzt haben, um darauf zu steigen, als er die Schlinge über den Haken legte, und dann muß er den Hocker weggetreten haben, um sich aufzuhängen. Aber wo ist der Hocker? Oder hat er etwas anderes benutzt? Darüber kann sie sich jetzt nicht den Kopf zerbrechen. Ganz egal, wie er es getan hat, er hat es getan, und wenn sie es nicht schafft, ihn herunterzunehmen und zum Bett zu schleppen, werden sie und ihr Mann die Lebensversicherung verlieren, so einfach ist das.
    In den nächsten Sekunden
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