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Dead Man's Song

Dead Man's Song

Titel: Dead Man's Song
Autoren: Troll Trollson
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Stille. Nicht die gespannte Stille einer Wohnung, die nur kurzzeitig verlassen ist. Es ist ein ehrfürchtiges Schweigen, eine Stille, die Dauerhaftigkeit in sich birgt. In dieser Stille liegt etwas Endgültiges, etwas so Absolutes, daß sie beängstigend und erregend zugleich ist. Etwas Bedrohliches lauert hier. Etwas Schreckliches wartet in diesen Räumen. Die Stille signalisiert schlimme Erwartungen und läßt ihr ein eisiges Frösteln der Vorahnung über den Rücken rieseln. Beinahe dreht sie sich auf dem Absatz um und geht hinaus. Sie ist kurz davor, wieder wegzugehen.
    »Ich wünschte, ich hätte es getan«, erzählt sie jetzt.
    Ihr Vater hängt an der Innenseite der Badezimmertür. Die Tür ist offen und ragt ins Schlafzimmer, und seine hängende Gestalt ist das erste, was sie sieht, als sie das Zimmer betritt. Sie schreit nicht. Statt dessen weicht sie zurück und stößt gegen die Wand. Dann dreht sie sich um und schickt sich erneut an, einfach zu gehen, verläßt auch tatsächlich das Schlafzimmer und tritt in die Diele, aber die stumme, hängende Gestalt ruft sie zurück, und sie betritt das Schlafzimmer erneut. Sie durchquert den Raum und geht zu der Gestalt, die an der Innenseite der Badezimmertür hängt. Sie macht immer nur einen Schritt, bleibt vor jedem weiteren stehen, um Luft zu holen und ihren Mut zusammenzuraffen. Sie blickt hoch zu dem Mann, der dort hängt, dann senkt sie den Kopf und schaut nach unten. Um einen weiteren Schritt zu machen. Sie beobachtet ihre sich vorwärts schiebenden Füße und nähert sich immer mehr der Tür und der grotesken Gestalt, die dort hängt.
    Etwas Blaues ist um seinen Hals geschlungen. Sein Kopf ist zur Seite gekippt, als wäre er dorthin gesunken, als er einschlief. Der Haken befindet sich dicht unter dem oberen Rand der Tür, und das Blaue - ein Schal, nicht wahr? Eine Krawatte? - ist um den Haken geschlungen, so daß die Zehen ihres Vaters ein paar Zentimeter über dem Fußboden schweben. Sie stellt fest, daß er barfuß ist und seine Füße blau sind, ein Blau, das dunkler und rötlicher ist als der Stoff, der um seinen Hals geknotet ist. Seine Hände sind ebenfalls blau. Es ist dasselbe dunkle rötliche Blau, das an einen schlimmen Bluterguß denken läßt, der die Handflächen und die Finger und die Handrücken verfärbt. Die Hände sind geöffnet und nehmen eine fast betende Haltung ein. Er trägt ein weißes Oberhemd und eine graue Flanellhose. Die Zunge hängt ihm aus dem Mund. Sie ist fast schwarz.
    Sie tritt dicht an den Körper heran, der da hängt.
    Und blickt hoch in sein Gesicht.
    »Dad?« sagt sie ungläubig. Sie erwartet, daß er die Zunge noch weiter herausstreckt, vielleicht ein Prusten von sich gibt, zu grinsen beginnt, sie weiß nicht, was, irgend etwas tut, um ihr zu zeigen, daß er ein Spiel treibt, so wie er früher immer gespielt hat, als sie noch ein kleines Mädchen war, ehe er alt wurde … und langweilig … und tot war. Tot, ja. Er rührt sich nicht. Er ist tot. Er ist wirklich und wahrhaftig tot, und er wird sie nie mehr anlächeln. Sie starrt in seine weit geöffneten Augen, die so grün sind wie ihre eigenen. Aber jetzt sind sie mit winzigen Blutflecken übersät. Sie kneift die eigenen Augen fast vollständig zu. Ihr Gesicht ist verzerrt, nicht vor Schmerz. Sie verspürt keinen Schmerz, sie empfindet noch nicht einmal so etwas wie Verlust oder Einsamkeit. Sie hat diesen Mann schon sehr lange nicht mehr richtig gekannt. Sie verspürt lediglich Entsetzen und einen tiefen Schrecken und Zorn, ja, unerklärlichen Zorn, Zorn, der unvermittelt und heftig auflodert. Warum hat er das getan? Warum hat er nicht irgendwen gerufen? Was, gottverdammt noch mal, ist mit ihm los?
    »Ich nehme solche Ausdrücke normalerweise nicht in den Mund«, sagt sie zu den fünf Männern, die ihr zuhören, und im Raum kehrt wieder Stille ein.
    Die Polizei, denkt sie. Ich muß die Polizei rufen. Ein Mann hat sich erhängt, mein Vater hat sich erhängt, ich muß die Polizei benachrichtigen. Sie schaut sich im Zimmer um. Das Telefon. Wo ist das Telefon? Er sollte ein Telefon am Bett haben, er hat Probleme mit dem Herzen, ein Telefon sollte stets in Reichweite…
    Sie entdeckt das Telefon - nicht neben dem Bett. Sondern am anderen Ende des Zimmers auf der Kommode. Aber gegen ein schnurloses Telefon hatte er sich immer gewehrt. In ihrem Geist wirbeln all die Dinge herum, die sie jetzt erledigen muß, wichtige Aufgaben, die sie wahrnehmen muß. Zuerst wird sie ihren
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