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Davina

Titel: Davina
Autoren: Anthony Evelyn
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reichte ihm seinen Drink.
    »Hoffentlich haben Sie sich nicht gelangweilt«, sagte sie. »Ich habe wirklich versucht, zeitiger wieder da zu sein.« Er hatte kräftige, große Hände, und das kleine Glas verschwand beinahe darin. Die durchdringenden blauen Augen ließen sie an Schnee und beißende Winde denken, er hatte einen freudlosen, harten Gesichtsausdruck, der zu seinen Augen paßte.
    »Meine Tochter hat einen Kanarienvogel«, sagte er. Der Alkohol hatte seinen Akzent verstärkt, seine Redeweise klang beinahe zu schwerfällig. »Sie hält den Vogel in einem Käfig in unserer Küche. Sie soll ihn frei lassen … frei. Ich weiß, wie dem Kanarienvogel zumute ist.«
    »Wir können uns mit Ihrer Familie in Verbindung setzen«, sagte Davina ruhig, »das wissen Sie … Außerdem sind Sie wirklich nicht in der gleichen Lage wie dieser Kanarienvogel, finden Sie nicht auch? Sie wollten doch herkommen. Niemand hat Sie entführt.«
    Iwan Sasonow lehnte sich im Sessel zurück und trank seinen Wodka aus. »Was hat man in London gesagt? Wann werde ich Nachrichten bekommen …?«
    »Das habe ich Ihnen doch schon gesagt«, erklärte sie. »Ihrer Familie geht es ausgezeichnet. Man hat nichts gegen sie unternommen. Sie brauchen sich nicht zu beunruhigen. Sie vertrauen mir doch, nicht wahr? Ich würde Sie nicht anlügen.«
    Er lachte. »Sie würden lügen, wenn man Ihnen den Auftrag dazu gäbe«, sagte er. »Meine Familie könnte im Gefängnis oder tot sein, und Sie würden immer weiterlügen. Sie sind eine verdammte Frau.«
    Davina lächelte. »Wenn Sie meinen … und Sie sind betrunken.«
    »Nein.« Er lachte wieder und schüttelte den Kopf. Er trug seine blonden, schon angegrauten Haare sehr kurz. »Nein, das bin ich nicht. Wenn ich betrunken bin, schlafe ich ein. Einfach so!« Er schnipste mit den Fingern. »Ich habe ein bißchen Wodka in mir. Er spricht zu mir.«
    »Wie poetisch«, sagte sie. Sie kannte seine Stimmungen und wurde mit ihnen fertig. Sie kannte sie alle, von Niedergeschlagenheit bis zur Aggression und dann wieder zu seiner normalen, raschen Auffassungsgabe, die der ihrigen ebenbürtig war. Es gab Zeiten, da er sich völlig gelöst gab, und sie hatte gemerkt, daß er einen ausgesprochenen Sinn für Humor besaß.
    Seine Stimmung schwankte jetzt zwischen Widerborstigkeit und etwas Gefährlicherem hin und her. Sie reagierte locker und hoffte, seine schlechte Laune, die durch den Drink noch schlechter geworden war, etwas abmildern zu können.
    »Wovon spricht er denn?«
    Er sah sie an, und sie merkte plötzlich, daß er völlig nüchtern war.
    »Von zu Hause«, sagte er.
    Sie ließ sich weder Überraschung noch Verärgerung anmerken. »Fühlen Sie sich hier so unglücklich? Wenn ja, muß es meine Schuld sein.«
    Er stand auf, er war groß für einen Russen. Er begann auf und ab zu gehen, stieß die Kohlenstücke im Kamin mit dem Fuß an und betrachtete die Wodkakaraffe mit dem Ausdruck des Abscheus. Sie war fast leer. »Es ist nicht Ihre Schuld«, erklärte er. »Sie haben sich viel Mühe gegeben, mir den Aufenthalt hier so angenehm wie möglich zu machen. Sie haben einen Auftrag zu erfüllen. Auch ich bin ein Profi, Vina. Ich verstehe Sie.« Anders als Brigadier White redete er sie mit dem Vornamen an, er konnte ihn nicht richtig aussprechen und kürzte ihn deshalb ab. Er hatte ihr einmal beim Spaziergang gesagt, Vina sei ein Anagramm seines eigenen Namens.
    »Ich werde es noch einmal versuchen«, sagte sie. »Das verspreche ich Ihnen. Ich werde sehen, ob wir irgendeine Nachricht über sie beschaffen können, der Sie Glauben schenken werden … So, wollen wir jetzt zu Abend essen?«
    Sie war ihm gegenüber so sensibilisiert, daß sie wußte, was er gerade tat, ohne ihn zu beobachten. Er aß nicht viel, er zerkrümelte Brot und trank Wein, und wenn er sie anblickte, sah er sie gar nicht. Rastlos – so hatte sie ihn dem Brigadier geschildert. Das war eine Untertreibung. Sie hatte das Gefühl, daß er sich zum ersten Mal seit seiner Flucht in den Westen in einer Krise befand. Aber welches Ergebnis sie haben würde, hing von ihr ab. Falls er sauer wurde, war seinen Informationen nicht mehr zu trauen, und er selbst wäre nichts weiter als ein kostspieliger Irrtum gewesen. Das Verhältnis zur Sowjetunion hatte sich bereits abgekühlt, denn Oberst Iwan Sasonow war während eines offiziellen Besuchs im Foreign Office von der Bildfläche verschwunden. Jeder wußte Bescheid, aber beide Seiten hielten in den ersten
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