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Davina

Titel: Davina
Autoren: Anthony Evelyn
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nächsten Mittagessen würde sie ihn nach weiteren Einzelheiten fragen. Spencer-Barr wurde von einem Minister protegiert, das wußte jeder. Man hatte ihn zunächst in den unteren Dienstbereichen eingesetzt, nachdem er mit Auszeichnung sein Studium in Wirtschaftswissenschaften und neueren Sprachen absolviert hatte; er sprach fließend französisch, deutsch, russisch, ungarisch und schwedisch; außerdem besaß er gute Kenntnisse in Arabisch und Farsi. Er genoß den Ruf einer hervorragenden Bildung. Er hatte sein Universitätsstudium durch Lehrgänge an der Harvard Business School ergänzt, wo er als Bester seines Jahrgangs abgeschlossen hatte, und war dann vier Jahre in einer der bekanntesten Handelsbanken in der City tätig gewesen. Sein Onkel war Staatssekretär im Finanzministerium, und der Minister, der ihn persönlich an Brigadier White weiterempfohlen hatte, war sein Pate und enger Freund der Familie. Es war nur natürlich, daß alle, die ohne eine solche Empfehlung von ganz oben in den Dienst eingetreten waren und nicht auf eine so glänzende akademische Vergangenheit zurückblicken konnten, diesen Supermann mit Argwohn und Feindseligkeit betrachteten.
    Sie erinnerte sich, wie er im Arbeitszimmer des Brigadiers gesessen hatte, als entschieden werden sollte, wer den Fall Iwan Sasonow übernehmen würde. Er war ziemlich klein, schmal, hatte ein glattes Gesicht und glatte blonde Haare, die ihm ein wenig über den Kragen hingen. Er hatte ausgezeichnete Manieren, aber es war etwas Arrogantes an ihm, das ihn wenig sympathisch erscheinen ließ, auch wenn er ihr die Tür öffnete oder einen Stuhl anbot. Er hatte sich beworben, Sasonow zu übernehmen, und es war eigentlich nichts dagegen einzuwenden. Er sprach gut russisch, er konnte das Vertrauen des Mannes gewinnen. Er kannte Russland, nachdem er das Land zwei Jahre hintereinander mit zwei verschiedenen Tourist-Reisegruppen bereist hatte. Er spielte Schach, was Sasonows Hobby war, und er war noch so jung, daß er nicht sofort Verdacht erweckte.
    Brigadier White hatte ihm geduldig und mit halbem Lächeln zugehört, dann genickt und gesagt: »Ich danke Ihnen, Spencer-Barr«, und sich dann Davina zugewandt. »Schön, Miß Graham, welche Qualifikation können Sie anführen, die besser ist als Mr. Spencer-Barrs eindrucksvolle Liste? Sprechen Sie russisch?«
    »Nein«, hatte sie geantwortet, »Sie wissen doch, daß ich es nicht kann. Aber Sasonow spricht englisch. Ich kann Backgammon spielen, aber mein Schach ist so schlecht, daß er gar nicht anders kann als mich zu schlagen. Das sind Nebensächlichkeiten, wenn Sie mich fragen.« Sie hatte gesehen, wie Spencer-Barr auffahren wollte, aber sie fuhr ohne Pause fort: »Drei Experten haben Sasonow seit seiner Ankunft Ende August befragt, das liegt über drei Monate zurück. Er hat nichts wirklich Wesentliches ausgesagt. Ihn jetzt mit einem anderen Mann zusammenzubringen, hieße lediglich, das bisherige Verfahren auf einer persönlichen Stufe fortzusetzen. Was bisher nicht funktioniert hat. Ich glaube, eine Frau könnte ihn aus der Reserve locken.«
    Der Brigadier schwieg eine Weile. Seine beiden engsten Mitarbeiter waren bei dem Gespräch zugegen.
    Es war Spencer-Barr, der als erster sprach. »Wenn ich etwas dazu sagen darf, Sir, so ist Sasonow nicht der Typ, der eine Frau ernst nimmt. Er würde höchstens glauben, daß man sie ihm aus ganz anderen Gründen zugespielt hat.«
    »Das könnte er allerdings«, meinte der Brigadier, und die beiden Abteilungsleiter nickten und sagten gleichzeitig »ja«. Davina sah den jungen Mann die Hand heben und sich seine blonden Haare zurückstreichen. Er glaubte gesiegt zu haben, und die Armbewegung wirkte aufreizend selbstgefällig.
    »Für Miß Grahams Argumentation spricht allerdings«, sagte der Brigadier, »daß sie durchaus sein Vertrauen gewinnen könnte, wo auch so begabte Mitarbeiter wie Sie, Mr. Spencer-Barr, versagen würden. Aber noch eine Frage. Falls von Ihnen eine solche Erweiterung Ihres Aufgabenbereichs verlangt werden sollte – wären Sie einverstanden, Miß Graham?«
    »Ich wäre nicht begeistert«, sagte sie, »aber ich würde mich mit dem Gedanken befassen.«
    Sie hatten sie damals alle angesehen und in ihr objektiv eine Frau erkannt, der es gelingen könnte, den wertvollsten sowjetischen Überläufer seit Perekop in Versuchung zu führen. Die komplizierten Gedankengänge von Männern wie James White und seinen Kollegen waren ihr bekannt, sie verstand sie gut. Wenn man
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