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Davina

Titel: Davina
Autoren: Anthony Evelyn
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ergreifen, rutschte sie auf den Platz neben dem seinigen. ›Braucht er eine Frau?‹ Die Frage des Brigadiers nagte an ihr. Sie kannte die Antwort, sie spürte sie schon seit einiger Zeit. Sie spürte sie jetzt erneut, als sich ihre Körper einen kurzen Augenblick berührten, dann rückte sie von ihm ab. Er war zu männlich, das verängstigte sie. In ihren Vorstellungen empfand sie seine Geschlechtlichkeit als bedrohend. Sie wagte nicht daran zu denken, wie er als Liebhaber sein würde. Sie hatte nur einen einzigen Mann gekannt, und der war nichts im Vergleich zu Iwan Sasonow gewesen. Falls es zu einer solchen Situation kommen sollte, hatten die Leute bei der Besprechung gesagt, werde sie schon wissen, wie sie sich zu verhalten habe. Sie hatten sich geirrt. Die Situation hatte sich nicht plötzlich ergeben, in den ganzen letzten Monaten hatte sie im Hintergrund gelauert – wie ein Schauspieler, der hinter den Kulissen auf sein Stichwort wartet. Sie hatte es mit jedem Seitenblick gesehen und war entschlossen von ihm abgerückt. Jetzt, wo sie neben ihm vor dem Kaminfeuer saß, fühlte sie die Ruhelosigkeit in ihm und die unausgesprochene Frage. Er wollte eine Frau haben, er wollte sich selbst vergessen, er wollte Fleisch und Blut anstelle kühl berechneter Gesellschaft. Sie hätte sich selbst anbieten sollen. Sie hätte ihm Sex schenken sollen, so wie sie ihn mit Zahnpasta und Zigaretten versorgte. Aber es ging nicht. Sie war mit einem Mann, den sie geliebt hatte, ins Bett gegangen, und er hatte sie zutiefst erniedrigt – er hatte sie zurückgewiesen, und zwar auf eine ganz besondere Art. Sie konnte sich Sasonow nicht an den Hals werfen, denn sie wußte, daß er sie nur deshalb nehmen würde, weil sonst niemand da war. Sie wollte sich ihn nicht als Mann vorstellen – nackt, wie er sie in Besitz nahm.
    Sie sagte ganz ruhig: »Möchten Sie, daß jemand die Nacht mit Ihnen verbringt? Sie müssen sich sehr einsam fühlen.«
    Sie wußte sofort, daß sie einen schrecklichen Fehler begangen hatte. Die Überraschung auf seinem Gesicht ging in Zorn und dann in Verachtung über. Er sprang vom Sofa auf.
    »Wenn ich eine von euren Huren aus dem Amt haben will, werde ich es Ihnen sagen!« Er drehte ihr den Rücken zu, bevor sie noch antworten konnte, und schlug die Tür hinter sich zu.
    »Ach, du Idiotin«, sagte sie laut vor sich hin. »Du taktlose, blöde Idiotin …« In diesen fünf Monaten war zwischen ihnen ein Verhältnis entstanden, das tiefe Wurzeln geschlagen hatte. Er war von ihr abhängig geworden, trotz anfänglicher Ablehnung hatte sich Vertrauen zwischen ihnen eingestellt. Sogar ihre gelegentlichen Streitereien waren zu einer Art von Vertraulichkeit geworden. Es fehlte nur noch das intime nächtliche Verhältnis. Und sie war von Panik ergriffen worden, als sie sich vorstellte, was als nächstes kommen würde, sie hatte alles kaputtgemacht, indem sie ihm eine bezahlte Hure anbot, als litte er unter Zahnschmerzen und brauchte einen Zahnarzt. Sie hatte ihn noch nie so wütend gesehen. Seine Verachtung war bitter und traf sie hart. Aber nicht minder als die Verachtung, die sie vor sich selbst empfand. Sie war jetzt seit fast fünf Monaten in seinem Leben. Sie hatte ihn durch die Phasen des Heimwehs, der Angst um seine Familie, der Unsicherheit, ob er überhaupt recht gehandelt hatte, begleitet und ihn mit sanfter Hand zu dem Punkt hingeführt, wo das Ende ganz nahe zu sein schien. Er war nahe dem völligen Zusammenbruch oder nahe dem Entschluß, sich völlig dem Westen zu verpflichten. Und er wollte von ihr jetzt mehr als bloße Gesellschaft. Sie war nicht imstande gewesen, mit diesem Bedürfnis fertig zu werden, ohne den Kopf zu verlieren. Ihm eine Frau zuzuführen, hieße ihre sorgsam austarierte Beziehung zu zerstören, sie würde sich selbst auf die Seite des Brigadiers zurückversetzen.
    Sie stand auf, setzte den Schirm vor das Kaminfeuer und ging über den Korridor zu seinem Zimmer. Sie klopfte an die Tür. Er rief etwas, und sie trat ein. Er hatte seinen Morgenmantel angezogen und sah jünger aus. »Ich bin gekommen, um Ihnen zu sagen, wie leid es mir tut«, erklärte sie. »Ich hätte so etwas nicht sagen sollen. Es war sehr roh von mir.«
    Sein Zorn war noch nicht verflogen. »Warum? Man erwartet doch von Ihnen, daß Sie für die Befriedigung meiner Bedürfnisse sorgen!«
    »Darum geht es nicht. Ich weiß nicht, warum ich das gesagt habe.«
    Er trat auf sie zu. Sie stand im Türrahmen und hielt sich an
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