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Dauerhaftes Morgenrot

Dauerhaftes Morgenrot

Titel: Dauerhaftes Morgenrot
Autoren: Joseph Zoderer
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und packte seine Hausschuhe aus. Mit den Pantoffeln an den Füßen nahm er wieder Maß an den gewohnten Gegenständen. Er schlurfte am Bettrand entlang und streifte mit dem Schienbein die herunterhängende Decke, er schritt sogar die Türen des Wandschrankes ab, umkreiste die Sitzgarnitur des Wohnzimmers, langsam ging er die Bücherwand hin und zurück, draußen in der Küche hantierte Livia mit Eifer, er hörte das Drücken des Gasanzünders und das Aufzischen der Gasflamme, das Aufsetzen eines Gefäßes auf den Herd. Er ging nicht zu ihr hinaus, obwohl er das Bild eines Mannes im Kopf hatte, der in der Küche hinter seine Frau tritt und ihr die Flasche mit dem Olivenöl aus den Händen nimmt oder ein Messer, und eine Zwiebel schält und zerschneidet oder die Fleischstücke mit Salz und Öl bestreicht. Er legte sich auf das Kanapee, und zu den Büchern hinaufblickend versuchte er, die senkrecht laufenden Büchertitel zu lesen. Livia lachte ihn im Vorbeigehen an, als lachte sie mit ihm über seine erschöpfte Neugier, als hätte sie das gleiche gleichzeitig auch bei sich bemerkt, diese Kraftlosigkeit, die zu allem bereit war, auch zu einer Umarmung.
    Als er sich im Bett über sie beugte und, in sie eindringend, seine Wange dicht an ihre Wange preßte, horchte er ihre Schreie wie Schmerzensschreie ab. Ihre Narbe berührte er erst, als sie unter der Dusche mit ihm redete und nichts unternahm, um sie zu verbergen. Sie streckte die Arme in die heiße Brause hinauf, und er konnte den Blick nicht abwenden von dem rosablauen Schnitt.
    Er hob ein kleines offenes Glas mit Oliven an die Nase und schnupperte daran, sie aßen mitten in der Nacht Speck mit Ei und dazu Oliven, er war hungrig, hungrig nach allem. Er hatte alle Scham verloren, er ahmte die Scham nur nach und blieb unentdeckt.
    Durch den Spalt des Fensterladens sickerte genug Licht, um ihm ihr Gesicht zu zeigen, ihre geschlossenen Augen, die verschlossenen Lippen. Er stützte sich auf einen Ellbogen und küßte sie, wollte sie küssen, aber im Schlaf wandte sie das Gesicht ab, so daß sein Mund über ihre Wange rutschte. Er blieb über sie gebeugt, die Haut war seidenweich über ihrem Kieferknochen, er hörte Schreie, geschriene Worte, die er nicht verstehen konnte, er dachte an kreischende Zurufe auf einem Fußballplatz, und da empfand er eine Art Triumph über seine Finger, die vor ihrer Wange nicht zurückzuckten, während er zu seiner Verwunderung laut aufseufzte, ohne einen Schmerz oder eine Erschütterung zu spüren.

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