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Dauerhaftes Morgenrot

Dauerhaftes Morgenrot

Titel: Dauerhaftes Morgenrot
Autoren: Joseph Zoderer
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gefrorenen Platanenblätter auf dem Trottoir schaute, in das schlickernde Licht der Straßenlampe, knackte es in der Leitung, und eine Stimme antwortete ihm schlafgedehnt: Lukas? Du?
    Ja, ja, rief er, hörst du mich, verstehst du mich?
    Ja, natürlich, warum schreist du?
    Sie verstand und hörte ihn, sie sagte, endlich meldest du dich, wo bist du.
    Er mußte husten, irgend etwas legte sich auf seine Stimme, aber er sagte: Ich fahre mit dem frühesten Zug, wahrscheinlich kurz nach sechs, auf jeden Fall, ich fahre mit dem nächsten Zug.
    Im Hotel lief er auf das weiße Wächtergesicht des Portiers zu, er verlangte die Rechnung, zählte kommentarlos die Banknoten hin, sie nickten einander zu, wobei Lukas in die schwarze Portiersloge hineinschaute. Mann, sagte er auf spanisch, ich mag dich nicht.
    Er stieß die Fensterläden seines Zimmers auf; sollten sich die Tauben einnisten, im Waschbecken oder in seinem Bett, bevor der nächste Fremde hier einsaß.
    Im Taxi fuhr er noch einmal durch die verwinkelten Straßen, wo er sich unter die Dachvorsprünge gestellt hatte, über den Taubenplatz, und schließlich am Kai entlang. Das Meer konnte er nur ahnen, aber es dehnte sich gewiß wie immer unabsehbar aus. Trotz der Nebelschwaden, die den Horizont verdeckten, hatte er den Eindruck, daß sich der Himmel im Osten in einer Stunde rot verfärben würde.
    Sie stand neben einer Betonsäule der Bahnsteigüberdachung und lächelte nicht ängstlicher als er. In ihrem Lodenmantel ging sie ihm ein paar Schritte entgegen, sie kam ihm geschrumpft vor und hatte die Haare überraschend grell gefärbt. Der Zug hat einige Minuten Verspätung gehabt, entschuldigte er sich, und sie sagte auch, ja, der Zug hat sich verspätet, sie zog ihm einen Kofferkuli heran. Er legte den Arm um ihren Nacken, drückte ihr Gesicht an seine Schulter und streichelte auch diese Perückenhaare, und streichelte auch diese geschminkte Wangenhaut, nach einer Weile hob er eine Hand über ihre Augen, und obwohl sie zögerte, ließ sie sich küssen, er küßte sie zweimal, dreimal, immer sehr schnell.

An abgeernteten Apfelbäumen vorbei fahren sie vom Bahnhof weg. Er möchte sie einen Augenblick lang wieder an sich ziehen, aber er hört sie sagen: Hör auf. Sie zeigt auf einen Hügel, auf den er sich einmal Zypressen hingewünscht hatte. Sie wünscht sich, daß er den Wagen an einem Waldweg parkt, und langsam steigen sie einen überwachsenen Fußsteig hinauf, doch schon nach einigen hundert Metern dreht sie sich um und läuft den Steig wieder hinunter, und als er wieder bei ihr in der Nähe des Autos ankommt, rennt sie erneut in den Wald zurück. Er setzt sich in den Wagen und wartet auf sie. Als sie neben ihm sitzt, schlägt er vor, in einem Gasthaus zu essen, und sie sagt ja, obwohl sie daheim, sagt sie, schon etwas vorbereitet hat.
    Während der Fahrt zum Restaurant nahm sie seine Hand, und er ließ sich widerstandslos streicheln. Aber als Livia ihn mit den Lippen berührte, vermochte er nicht, den Mund zu öffnen. Mit roten Haaren, gestand sie ihm, mit entfärbten und gefärbten Haaren wollte sie zu ihm zurückfinden.
    In der Gaststube spornte er sie beim Essen an, als ob irgendeine Pflicht sie beide erwartet hätte, er schlang die Bissen hinunter: Sonst wird alles kalt, sagte er zu ihr. Sie stocherte an den Gelbrüben herum, aber sie hob auch das Weinglas, und sie bestellten sogar Tortenstücke, kosteten wechselseitig davon, er trank von ihrem Kaffee und verschluckte sich, weil er vergessen hatte, daß sie Zucker nahm.
    Es begann zu schneien, sie sagte, der Schneeregen glänzt wie Sonnenflocken. Überfallartig küßte sie ihn, wünschte, daß er sie auch auf den Mund küßte.
    Während sie vom Gasthof zum Wagen gingen, blieben die Worte zwischen ihnen aus, plötzlich war ihm, als hätte er seinen besten Freund verloren. Er wich einer Pfütze aus und beobachtete ihr federndes Gehen, er sah, wie sie, beide Hände in den Taschen ihrer pludrigen, beigen Hose, das Gewicht auf die Zehen verlagerte und sich leichtfüßig abstieß. Im Gasthaus hatte er den Untersatz seines Glases über dem Tisch hin- und hergeschoben und damit ihren Rededrang gedämpft.
    In der Wohnung roch er noch immer den Kleister, mit dem sie die Tapeten vor seiner Abfahrt neu aufgezogen hatte. Er öffnete den am Meer gekauften Koffer
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